a) Weniger einschneidende Maßnahmen

 

Rz. 633

[Autor/Stand] Der Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, ist gem. § 116 StPO auszusetzen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich:

  • die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei dem Richter, der Strafverfolgungsbehörde oder einer von ihnen bestimmten Dienststelle (in der Regel eine Polizeistation) zu melden (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 StPO),
  • die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der Strafverfolgungsbehörde zu verlassen (§ 116 Abs. 1 Nr. 2 StPO),
  • die Anweisung, die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 StPO),
  • die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen (§ 116 Abs. 1 Nr. 4StPO),

Die Außervollzugsetzung wegen Verdunkelungsgefahr liegt nach § 116 Abs. 2 StPO im Ermessen des Gerichts, namentlich durch die Anweisung, nicht mit Mitbeschuldigten oder Zeugen in Kontakt zu treten.

b) Sicherheitsleistung

 

Rz. 634

[Autor/Stand] Im Steuerstrafrecht wird ein Haftbefehl häufig gegen Sicherheitsleistung ("Kaution") außer Vollzug gesetzt. Die Einzelheiten der Sicherheitsleistung regelt § 116a StPO. Die Sicherheit ist durch Hinterlegung in barem Geld, in Wertpapieren, durch Pfandbestellung oder durch Bürgschaft geeigneter Personen zu leisten. Der Richter setzt Höhe und Art der Sicherheit nach freiem Ermessen fest (§ 116a Abs. 2 StPO). Im Steuerstrafrecht wird die Zahlung der Kaution vielfach davon abhängig gemacht, dass diese im Falle einer rechtskräftigen Steuerfestsetzung dem Fiskus zukommen soll.[3] Die Gefahr besteht hier darin, Aspekte der Verfahrenssicherung mit solchen der Schadenswidergutmachung zu vermengen. § 116 StPO ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips und keine Möglichkeit zur verdeckten Rückgewinnung. Die Finanzverwaltung verfügt selbst über ausreichende Möglichkeiten, den Steueranspruch sicherzustellen. Es dürfen keine unzumutbaren Verhaltensanforderungen an den Beschuldigten gestellt werden. Die Sicherheitsleistung darf auch keinen Strafcharakter tragen oder sonst ein von den Haftgründen nicht gedecktes Ziel verfolgen.[4] Allein der verfahrenssichernde Aspekt ist zu berücksichtigen. Dies wird umso deutlicher, je höher vermeintlicher und tatsächlicher Steueranspruch differieren.

c) Außervollzugsetzung und Beschleunigungsgrundsatz

 

Rz. 635

[Autor/Stand] Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls kann auch wegen Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes angezeigt sein. Der im Recht auf Freiheit der Person verankerte Beschleunigungsgrundsatz[6] in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen.[7] Denn zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verzögerungen verursacht ist.[8] Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare Verfahrensverzögerungen stehen daher in der Regel der weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen.

 

Rz. 636

[Autor/Stand] Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. An dessen zügigen Fortgang sind mit steigender Dauer der Untersuchungshaft umso strengere Anforderungen zu stellen.[10]

 

Rz. 637

[Autor/Stand] Dieser Gedanke liegt auch der Regelung des § 121 StPO zugrunde, der bestimmt, dass der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Wie sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte ergibt, handelt es sich dabei um eng begrenzte Ausnahmetatbestände[12].

 

Rz. 638

[Autor/Stand] Der Beschleunigungsgrundsatz beansprucht auch für das Zwischenverfahren nach den §§ 199 ff. StPO Geltung. Selbst wenn das Verfahren etwa aus Gründen der Komplexität der im Raum stehenden wirtschaftlichen Vorgänge erhebliche tatsächliche und/oder rechtliche Schwierigkeit aufweist, rechtfertigt dies ein Zuwarte...

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