Rz. 61

[Autor/Stand] Aufgrund der in § 32 Abs. 1 ZollVG enthaltenen, als sog. Schmuggelprivileg bezeichneten Sonderregelung ist es den Verfolgungsbehörden möglich, bei bestimmten, leichteren Steuervergehen ohne Strafe oder Geldbuße, gleichwohl mit einer sanktionsähnlichen Maßnahme zu reagieren, die im Ergebnis ein Verfahrenshindernis begründet. Mit der Norm sollen seit jeher massenhaft auftretende Fälle allenfalls kleinkriminellen Verhaltens außerhalb des für Steuerverfehlungen vorgesehenen Sanktionensystems vergleichsweise unauffällig und schnell geahndet werden können[2]. Die Vorschrift typisiert für bestimmte Bagatellverfehlungen mit geringem Unrechtsgehalt die regelmäßig ausreichende Ahndung mit einem Zollzuschlag als einer Abgabe eigener Art[3] (s. Rdnr. 69). Mit der jüngsten Gesetzesänderung ab dem 16.3.2017 und dem damit verbundenen erweiterten Anwendungsbereich dürfte die Regelung wieder mehr praktische Bedeutung erlangen[4]. Die Neufassung ist anders als bislang nicht als zwingendes Verfolgungshindernis, sondern als Soll-Vorschrift ausgestaltet, die für den Regelfall die Ahndung mittels Zollzuschlagserhebung, für die allein die Zollverwaltung zuständig ist, vorsieht (s. Rdnr. 66).

 

Rz. 62

[Autor/Stand] Die Norm, hervorgegangen aus dem früheren § 80 ZollG, war zunächst nur bei Zollstraftaten und -ordnungswidrigkeiten anwendbar[6]. Ab 1996 wurde der Anwendungsbereich der Norm[7] erstmals ausgedehnt und erstreckte sich seitdem generell auf Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten, die sich auf Einfuhrabgaben iS von § 1 Abs. 1 Satz 3 ZollVG bezogen, soweit die Verfehlungen im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Reiseverkehr, dh. der Einfuhr von Nichts-Unionswaren über den deutschen Teil der Grenze des EU-Zollgebiets, begangen worden sind. Die Fassung von § 32 ZollVG aF (s. Rdnr. 60) ist – wie auch die Regelungen zur Erleichterung bei Gestellung, Anmeldung, Beförderung und zu den geltenden Freimengen – im Lichte der Bestrebungen zu betrachten, die für den Reiseverkehr zwischen der EU und Drittstaaten geltenden Formalitäten möglichst auf ein Mindestmaß zu beschränken[8]. Die wegen dieser Beschränkung auf den Reiseverkehr seither als Schmuggelprivileg bezeichnete Sonderregelung rechtfertigt sich aufgrund der im Einzelfall regelmäßig geringen Höhe des verkürzten Abgabenbetrages[9].

 

Rz. 62.1

[Autor/Stand] Der Begriff "Reiseverkehr" i.S. von § 32 ZollVG aF wurde im Interesse der Praktikabilität und im Einklang mit der Rspr. weit ausgelegt[11] und erfasste nicht nur den Urlaubs- oder touristischen Verkehr, sondern auch den Berufsverkehr über die Zollgrenze[12]. Erfasst wurde vor allem der Reiseschmuggel über die grüne Grenze, dh. außerhalb der Zollstraße bzw. eines zugelassenen Grenzübergangs (etwa über die zahlreichen grenzüberschreitenden Wanderwege in touristischen Zonen) und bei Durchfahren ohne Anhalten über den Amtsplatz[13]. Entscheidend waren nicht der Anlass der Reise oder der Zweck des Grenzübertritts, sondern ausschließlich die Art und die Menge der mitgeführten Ware, die sich "im Rahmen des auf einer Reise Üblichen"[14] halten müssen. Erforderlich war allerdings, dass sich die Tat auf Waren bezieht, die weder zum Handel noch zur gewerblichen Verwendung bestimmt sind.

 

Rz. 62.2

[Autor/Stand] Die in der Praxis durchaus bewährte gesetzliche Regelung in der bis 15.3.2017 geltenden Gesetzesfassung hatte in der jüngeren Vergangenheit jedoch an Bedeutung verloren und erstreckte sich, da maßgebliche "Grenze" lediglich noch die Gemeinschaftszollgrenze und die Freizonengrenzen (vgl. § 32 Abs. 4 ZollVG aF) waren, praktisch vor allem auf Flughäfen, Seehäfen und die Grenze zur Schweiz[16]. Typischer Anwendungsfall war insb. die unberechtigte Benutzung des "grünen Ausgangs" an Flughäfen durch Flugreisende mit abgabenpflichtigen Waren im Gepäck[17]. Beim Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten über die Binnengrenzen der EU war das Schmuggelprivileg hingegen ebenso wenig anwendbar wie in Fällen, in denen Verbrauchsteuern erst im Erhebungsgebiet etwa dadurch verkürzt werden, dass gegen Vorschriften für den Verkehr unter Steueraussetzung (vgl. §§ 13, 14 BierStG) verstoßen wurde[18]. Nach dem Wegfall der Grenzkontrollen zu benachbarten EU-Mitgliedstaaten, der Ausweitung der EU-Grenzen sowie dem veränderten Konsumverhalten insb. durch zunehmenden Internet-Versandhandel deckte die Zollverwaltung vielfach Steuerdelikte einer Vielzahl von nicht gewerblich handelnden Ersttätern auf, ohne dass der Anwendungsbereich von § 32 ZollVG eröffnet war[19].

 

Rz. 63

[Autor/Stand] Vor diesem Hintergrund wurde mit der zum 16.3.2017 in Kraft getretenen Neufassung von § 32 ZollVG der Anwendungsbereich erheblich ausgeweitet und auf alle Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten ausgedehnt, die die Verkürzung von Einfuhr- und Ausfuhrabgaben und Verbrauchsteuern zum Gegenstand haben. Ein Zusammenhang der Zuwiderhandlung mit dem grenzüberschreitenden Reiseverkehr ist seither ebenso wenig maßgeblich wie die Begrenzung auf die Verkür...

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