Rz. 54

[Autor/Stand] Für den Ordnungswidrigkeitentatbestand fehlt es an einer Bestimmung zur bußgeldbefreiend möglichen Selbstanzeige, so dass sich die Frage stellt, ob und ggf. inwieweit eine wirksame Selbstanzeige nach §§ 371, 378 Abs. 3 AO auch die Ahndung der Tat wegen Gefährdung von Abzugsteuern gem. § 380 AO hindert.

 

Beispiel

Der Arbeitgeber A hatte einbehaltene Lohnsteuer weder bei dem FA angemeldet noch abgeführt. Hinsichtlich der Lohnsteuerhinterziehung hatte er infolge einer als Selbstanzeige gewerteten Nacherklärung der Lohnsteuerbeträge Strafbefreiung erlangt. Die Lohnsteuer wurde nachentrichtet. Aus Anlass der Selbstanzeige ermittelte die FinB dennoch gegen A wegen des Verdachts der Gefährdung der Lohnsteuer als Abzugsteuer nach § 380 AO.

 

Rz. 54.1

[Autor/Stand] Für einen Ausschluss einer Ahndung nach § 380 AO nach rechtswirksam erstatteter Selbstanzeige hinsichtlich der Verkürzung der Abzugsteuerbeträge könnte in Betracht gezogen werden, dass die in § 380 AO geregelte Gefährdung durch das rechtsgutverletzende Hinterziehungsgeschehen aufgezehrt werde und als Vorbereitungshandlung in dem intensiveren Verletzungstatbestand der Steuerhinterziehung aufgehe mit der Folge, dass die Gefährdung auch bei eintretender Straf- und Bußgeldfreiheit nach §§ 371, 378 Abs. 3 AO nicht wieder aufleben könne[3]. Im Übrigen könnte der fiskalische Zweck des § 371 AO einer Ahndung nach § 380 AO entgegenstehen[4].

In diese Richtung ging vor einiger Zeit die Anregung der Bundessteuerberaterkammer[5], wonach der Gesetzgeber de lege ferenda für alle Bußgeldtatbestände (§§ 378383 AO) die Möglichkeit der Erstattung von Selbstanzeigen vorsehen sollte. Das BMF hatte sich dagegen ausgesprochen[6].

 

Rz. 54.2

[Autor/Stand] Diese Überlegungen überzeugen im Ergebnis wegen der unterschiedlichen Struktur der verschiedenen Tatbestände jedoch nicht. Eine Selbstanzeige i.S.v. §§ 371, 378 Abs. 3 AO entfaltet bei § 380 AO auf der materiell-rechtlichen Ebene zunächst keine Rechtswirkung. Auf den subsidiären Bußgeldtatbestand der Gefährdung von Lohnsteuern kann nach überwiegender Ansicht auch dann zurückgegriffen werden, wenn die Lohnsteuerhinterziehung infolge wirksamer Selbstanzeige nicht geahndet werden kann[8]. Die Selbstanzeigeregelungen enthalten eine abschließende Regelung und sind auf andere Steuerordnungswidrigkeiten nicht übertragbar (s. § 371 Rz. 64, 802; § 378 Rz. 128 m.w.N.).

 

Rz. 54.3

[Autor/Stand] Sofern der Täter durch sein Verhalten vorsätzlich oder leichtfertig Steuern verkürzt, ist für die Anwendung des § 380 AO kein Raum. Dies folgt für das Verhältnis zu §§ 370, 378 AO aus den allgemeinen Regeln der Gesetzeskonkurrenz (s. Rz. 56 f.), für das Verhältnis zu § 378 AO darüber hinaus aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 380 Abs. 2 AO. Im Übrigen scheidet eine analoge Anwendung des § 371 AO schon deshalb aus, weil die Tat nach § 380 AO durch die bloße schuldhafte Versäumung eines Zahlungstermins und nicht durch unrichtige Angaben über steuerrechtlich erhebliche Tatsachen oder Verschweigen solcher Tatsachen begangen wird (s. Rz. 5.1 f.). Der Tatbestand der Gefährdung von Abzugsteuern stellt nicht ausschließlich eine gefährliche Vorstufe der §§ 370, 378 AO mit der Folge der Subsidiarität dar[10], denn ihr Schutzzweck, der vorrangig auf die Sanktionierung der "quasi treuhänderischen" Pflichten dritter Personen bzgl. fremder Steuerschulden gerichtet ist (s. Rz. 3 f.), ist trotz des Charakters des § 380 AO als Gefährdungstatbestand nicht identisch mit demjenigen der §§ 370, 378 AO. Die Tathandlung bezieht sich nicht auf eine Erklärungspflicht, sondern auf eine Zahlungspflicht[11].

 

Rz. 54.4

[Autor/Stand] Die als Gefährdung der Abzugsteuern umschriebene Tathandlung stellt vielmehr im Verhältnis zu den §§ 370, 378 AO – in noch stärkerem Maße als § 379 AO (zur ähnlichen Problematik einer fehlenden Selbstanzeigeregelung s. § 379 Rz. 680 ff.) – eigenes Unrecht dar, so dass § 380 AO durch die primären Tatbestände der Steuerverkürzung nur insoweit verdrängt werden kann, als tatsächlich eine Bestrafung des Täters nach den genannten Vorschriften erfolgt. Die Ahndung nach § 380 AO unterbleibt also, weil sie durch die Sanktionierung der vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerverkürzung abgegolten wurde[13]. An dieser "Abgeltung" fehlt es, wenn der Täter nach § 371 AO rechtswirksam Selbstanzeige erstattet hat, die "konsumierenden" Vorschriften der §§ 370, 378 AO also aus Rechtsgründen nicht zur Anwendung gelangen können. Dann hat eine Ahndung nach § 380 AO zu erfolgen. Schließlich bestimmt § 21 Abs. 2 OWiG, dass eine Tat als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, wenn eine Strafe nicht verhängt wird.

 

Rz. 54.5

[Autor/Stand] Unabhängig von den vorstehenden Überlegungen stellt sich die in der Praxis vielfach zu bejahende Frage, ob bei Nachentrichtung der nicht fristgemäß abgeführten Abzugsteuerbeträge innerhalb angemessener Frist unter Beachtung des Opportunitätsprinzips von einer Verfolgung gem. § 47 Abs. 1 OWiG abgesehen werden kann[15].

[Auto...

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