Rz. 94

[Autor/Stand] Insbesondere im Bereich der Umsatzsteuer (Geltendmachung der Vorsteuer oder Steuerbefreiung) hat sich in den letzten Jahren eine Kasuistik zum Verschulden herausgebildet. Auch insoweit wird die Evidenz (oder gleichwertige Umschreibungen) als maßgebliches Kriterium der Leichtfertigkeit angesehen. So hat sich der BFH beispielsweise in seinem Urteil vom 7.4.2014 mit den Anforderungen an leichtfertiges Handeln (§ 378 AO) im Kontext innergemeinschaftlicher Lieferungen auseinandergesetzt[2]. Er betont in seinem Leitsatz, dass

"der Unternehmer bei Inanspruchnahme der Steuerfreiheit nach § 6a UStG nur dann leichtfertig i.S. von § 378 AO handelt, wenn es sich ihm zumindest aufdrängen muss, dass er die Voraussetzungen dieser Vorschrift weder beleg- und buchmäßig noch objektiv nachweisen kann."

In der Praxis ergeben sich die schmerzlichsten Auswirkungen im Bereich der Umsatzsteuer oft nicht (nur) im Bereich der straf- und bußgeldrechtlichen Sanktion. Vielmehr kann die wirtschaftliche Existenz des Unternehmens auf dem Spiel stehen, wenn eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für eine Reihe von Jahren nachträglich bestimmte formelle Anforderungen stellt oder Nachweise verlangt (z.B. aufgrund neuer Verwaltungsanweisungen oder Rspr.), der Unternehmer keine Beweisvorsorge getroffen hat oder nicht richtig beraten wurde. Ferner weist auch das Verfahrensrecht weitere Fallstricke für den Unternehmer auf. Bei der Umsatzsteuer[3] (s. § 370 Rz. 1357 ff.) besteht die Besonderheit, dass der Unternehmer vor Abgabe der Umsatzsteuerjahresanmeldung am Ende des Kalenderjahrs gem. § 16 Abs. 1 UStG monatliche Voranmeldungen abzugeben und dementsprechende Vorauszahlungen zu leisten hat. Die Vorauszahlungen werden am 10. Tage nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig (§ 18 Abs. 1 UStG; wegen eines längeren Voranmeldungszeitraums s. § 18 Abs. 2 UStG). Zu berücksichtigen sind die entstandenen Steuern (§ 13 Abs. 1 UStG) und die angefallenen Vorsteuern (§ 16 Abs. 2 UStG)[4].

Dieses Verfahren setzt den Unternehmer einem spezifischen straf- und bußgeldrechtlichen Risiko aus[5].

 

Rz. 95

[Autor/Stand] Der Leistungsempfänger im Rahmen des Steuerabzugsverfahrens ist "Steuerpflichtiger" i.S.d. § 33 AO, da er zur Entrichtung der Umsatzsteuer verpflichtet ist (vgl. § 13b UStG i.V.m. § 43 Satz 2 AO). Zu beachten ist dabei, dass in das Abzugsverfahren – abgesehen von der Verpflichtung der juristischen Personen (§ 13b Abs. 5 Satz 1 UStG) – nur Unternehmer (§ 2 UStG) einbezogen sind. Diesen Personenkreis trifft eine besondere Erkundigungspflicht. In Zweifelsfällen muss der Unternehmer von sachkundiger Stelle Rat einholen, z.B. beim FA selbst oder bei einer sonstigen zuverlässigen Auskunftsperson, namentlich Steuerberater, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer etc.[7]. Jedenfalls dann, wenn dem Stpfl. bewusst ist, dass er "die kaufmännischen Fähigkeiten für seine gewerbliche Tätigkeit nicht besitzt und er die für einen Vorsteuerabzug erforderlichen Voraussetzungen an eine Rechnung nicht kennt", ist er verpflichtet, sachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen[8].

 

Rz. 96

[Autor/Stand] Die Berufung auf die Einschaltung eines steuerlichen Beraters entlastet den Stpfl. nicht in jedem Fall. Wird dem Stpfl. bspw. aufgrund einer Umsatzsteuersonderprüfung gegenwärtig, dass sein Berater in den Umsatzsteueranmeldungen des Prüfungszeitraums ständig zu geringe Umsätze angegeben hat, darf er dem Berater nicht mehr länger vertrauen. Unterlässt er die ihm zumutbare Kontrolle des Beraters, dann macht er sich bezüglich erneuter Umsatzsteuerverkürzungen einer leichtfertigen Steuerverkürzung i.S.d. § 378 AO schuldig[10] (s. Beispiel in Rz. 86; zur Überwachungspflicht des steuerlichen Beraters allgemein s. Rz. 81 ff.). Sofern Umsätze des Stpfl. in ein Umsatzsteuerkarussell integriert sind und der Stpfl. keine Kenntnis vom Nichtbestehen des Steueranspruchs hat, müsste er für die Verwirklichung des § 378 AO Angaben in der Umsatzsteuererklärung gemacht haben[11]. Gibt ein Steuerberater geschätzte Umsatzsteuervoranmeldungen ab, die sich im Nachhinein als zu niedrig erweisen, kann er sich je nach den Umständen des Einzelfalls dem Vorwurf der Beihilfe zur (vorsätzlichen) Steuerhinterziehung ausgesetzt sehen[12].

 

Rz. 97

[Autor/Stand] Dagegen kann nach Ansicht des FG Nürnberg[14] dem Geschäftsführer einer GmbH nicht zugemutet werden, die vom Steuerberater erstellten Voranmeldungen auf deren inhaltliche Richtigkeit insoweit zu untersuchen, ob darin auch eventuelle Umsätze enthalten waren, aus denen kein Vorsteuerabzug geltend gemacht werden konnte. In diesem Zusammenhang hat das FG München mit Urteil vom 23.9.2014[15] entschieden, dass einem kaufmännischen Geschäftsführer eine gewisse Einarbeitungszeit zugestanden werden muss und er nicht strafrechtlich zur Verantwortung für vom Buchhalter abgegebene unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen in den ersten zwei Monaten seiner Tätigkeit gezogen werden kann, da er sich auf deren Richtigkeit verlassen hatte.

In Bezug auf die Ausstellung von Schei...

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