Rz. 782

[Autor/Stand] Durch den mit Wirkung zum 1.1.2015 neu eingeführten Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO tritt Straffreiheit auch dann nicht mehr ein, wenn ein in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2–6 AO genannter besonders schwerer Fall vorliegt. Auch in diesen Fällen wird jedoch gem. § 398a AO von der Strafverfolgung abgesehen, wenn der an der Tat Beteiligte innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern und die Hinterziehungszinsen sowie einen nach der Vorschrift vorgesehenen Geldbetrag entrichtet. Da der Gesetzgeber diese Fälle als besonders strafwürdig ansieht, soll nur noch unter den besonderen Voraussetzungen des § 398a AO ein Absehen von Strafverfolgung möglich sein[2]. Ein Sperrgrund ist damit in den folgenden fünf Regelbeispielen eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Satz 2 AO gegeben:

  • Missbrauch der Befugnisse oder seiner Stellung als Amtsträger durch den Täter (Nr. 2),
  • Ausnutzung der Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht (Nr. 3),
  • fortgesetzte Steuerverkürzung oder Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege (Nr. 4),
  • Umsatz- oder Verbrauchssteuerverkürzung oder Erlangung nicht gerechtfertigter Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Steuerhinterziehungen verbunden hat (Nr. 5) und
  • fortgesetzte Steuerverkürzung unter Nutzung einer Drittstaat-Gesellschaft i.S.d. § 138 Abs. 3 AO zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen (Nr. 6).

Das Regelbeispiel des großen Ausmaßes nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO wird nicht erwähnt. Insoweit gilt der spezielle Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO, der jedoch in der Neufassung betragsmäßig nicht mehr an die Auslegung des Merkmals des großen Ausmaßes durch die Rspr. angelehnt ist[3].

 

Rz. 783

[Autor/Stand] Wenngleich § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO den Ausschluss der strafbefreienden Wirkung ausschließlich für die Regelbeispiele, nicht jedoch auch für unbenannte Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehungen nach § 370 Abs. 3 Satz 1 AO vorsieht[5], ist die Vorschrift im Hinblick auf die tatbestandliche Bestimmtheit (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG) bedenklich[6]. Die Regelbeispiele nach § 370 Abs. 3 Satz 2 AO verlangen nämlich stets eine Abwägung der Gesamtumstände. Das Vorliegen eines Regelbeispiels führt nicht zwingend zur Annahme eines besonders schweren Falles und damit zur Anwendung des erhöhten Strafrahmens. Vielmehr handelt es sich um ein – widerlegbares – Indiz im Rahmen der zu treffenden Gesamtabwägung. Für Zwecke des § 371 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 AO ist unklar, ob es allein auf das tatbestandsmäßige Vorliegen des Regelbeispiels ankommt[7] oder ob auch hier eine Gesamtwürdigung vorzunehmen ist, bei welcher die besondere Schwere widerlegt werden kann[8]. Für die Vornahme einer Abwägung spräche, dass der Gesetzgeber besonders strafwürdige Fälle von der Strafbefreiung ausnehmen wollte, die besondere Strafwürdigkeit aber eben in Einzelfällen widerlegt sein kann. Ein solches Verständnis allerdings wäre jedenfalls nicht mehr mit den Bestimmtheitsanforderungen strafbegründender Vorschriften vereinbar. Der selbstanzeigewillige Stpfl. muss im Vorfeld zuverlässig beurteilen können, ob er strafbefreiende Wirkung erlangen kann oder nicht. Dies kann er nicht, wenn er die – einem Beurteilungsspielraum unterliegende – tatrichterliche Würdigung der Schwere der von ihm begangenen Steuerhinterziehung antizipieren muss.

 

Rz. 784

[Autor/Stand] Letztlich kommt dem Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO in der Praxis wohl nur eine untergeordnete Bedeutung zu[10]. Fälle, in denen Steuerhinterziehungen unter Mitwirkung von Amtsträgern begangen werden, sind selten. Angesichts der hohen – außersteuerstrafrechtlichen – Konsequenzen für den Amtsträger sind Selbstanzeigen in diesen Fällen noch seltener[11]. Auch im Bereich der bandenmäßigen Umsatzsteuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 AO) sind Selbstanzeigen äußerst selten[12]. In Fällen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 6 AO dürfte regelmäßig bereits der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO greifen (s. Rz. 774 ff.). Einen nennenswerten praktischen Anwendungsbereich hat damit m.E. allein der Tatbestand der fortgesetzten Steuerhinterziehung unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege[13].

 

Rz. 785

[Autor/Stand] Wie bei § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO kommt eine Strafbefreiung bei Vorliegen eines besonders schweren Falles i.S.d. § 370 Abs. 3 Nr. 2–6 AO nicht in Betracht; die Selbstanzeige ist endgültig gem. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO gesperrt. Es kommt jedoch ein Absehen von der Strafverfolgung gem. § 398a AO in Betracht.

 

Rz. 786

[Autor/Stand] Wie Nr. 3 ist auch Nr. 4 des § 371 Abs. 2 Satz 1 AO tatbezogen auszulegen. Das Vorliegen eines besonders schweren Falles i.S.d. § 370 Abs. 3 Nr. 2–6 AO ist für jede zur Selbstanzeige gebrachte Tat isolie...

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