Rz. 809

[Autor/Stand] Eine Selbstanzeige i.S.d. § 371 AO schließt nicht die Geltendmachung von Steueransprüchen (wegen der verlängerten zehnjährigen Festsetzungsverjährung vgl. § 169 Abs. 2, § 170 Abs. 5, 7 und 9 AO) und von Haftungsansprüchen i.S.d. §§ 6971 AO aus (vgl. dazu § 370 Rz. 1135).

Auch steuerliche Nebenleistungen i.S.d. § 1 Abs. 3 AO (vgl. § 370 Rz. 1143 ff.) bleiben von einer Selbstanzeige unberührt, insb. können Hinterziehungszinsen i.H.v. 6 v.H. pro Jahr (§ 235 AO)[2], Verspätungs- (§ 152 AO) oder Säumniszuschläge (§ 240 AO) festgesetzt werden[3]. Zu beachten ist, dass die Entrichtung der Hinterziehungszinsen nach § 371 Abs. 3 Satz 1 AO nunmehr Wirksamkeitsvoraussetzung der Selbstanzeige ist.

Im Besteuerungsverfahren besteht die Pflicht zur Mitwirkung grundsätzlich auch dann, wenn der Stpfl. sich durch die Erfüllung dieser Pflicht selbst belasten könnte. Allerdings dürfen keine Zwangsmittel i.S.d. § 328 AO gegen den Stpfl. angewandt werden, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst zu belasten (§ 393 Abs. 1 Satz 3 AO).

Läuft ein Steuerstrafverfahren, sind die Erklärungspflichten für strafbefangene Jahre zur Wahrung des Selbstbelastungsverbots suspendiert[4].

Vor allem hinsichtlich nicht strafbefangener Jahre bestehen die Mitwirkungs- und Erklärungspflichten grundsätzlich fort, "wenn der Betroffene auf andere Weise, insb. durch ein strafrechtliches Verwendungsverbot ausreichend geschützt werden kann"[5]. Auch sind dem Stpfl. keinerlei Rechte aus dem Nemo-tenetur-Grundsatz zuzubilligen, wenn er die Strafverfolgung durch Abgabe einer wirksamen Selbstanzeige nach § 371 AO vermeiden kann[6].

Eine unauflösbare Konfliktsituation kann allerdings auch in Fällen bestehen, in denen eine Selbstanzeige möglich wäre, diese aber im Hinblick auf gleichzeitig mitverwirklichte Tatbestände keine Straffreiheit herbeizuführen vermag. So war die Konstellation bspw. in einem erst kürzlich entschiedenen Fall des BGH, in dem die Angeklagte in 46 Fällen von unbekannt gebliebenen polnischen Lieferanten aus Drittländern stammende, unversteuerte und unverzollte Zigaretten ankaufte. In 44 Fällen kam es zu einem Weiterverkauf im Straßenverkauf ohne Erklärung gegenüber der zuständigen Zollbehörde.

 

Beispiel 6

„Hier resultiert aus dem nemo-tenetur-Grundsatz eine Befreiung der Angeklagten von der strafbewehrten Erklärungspflicht. Die Angeklagte befand sich hinsichtlich ihrer Erklärungspflicht aus § 23 Abs. 1 Satz 3 TabStG in einer unauflösbaren Konfliktsituation. Hätte sie als Steuerhehlerin die unversteuerten und unverzollten Tabakwaren in dem dafür vorgesehenen Verfahren bei der zuständigen Zollbehörde erklärt, hätte sie damit zugleich die begangene Steuerhehlerei durch den Ankauf oder das Sich-Verschaffen der Tabakwaren offenbart. Dies führte zur Unzumutbarkeit, überhaupt Angaben zu machen, da der Vorgang der Steuerhehlerei den Behörden noch nicht bekannt war und die Offenbarung naheliegend die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach sich gezogen hätte.

Es kommt hinzu, dass sich die Steuerhehlerei und die Hinterziehung der Tabaksteuer auf dieselben Tabakwaren beziehen und insgesamt einen einheitlichen Lebenssachverhalt betreffen, der von derselben Tatmotivation getragen wird, nämlich der gewinnbringenden Veräußerung der unversteuerten Tabakwaren. Das Unterlassen der nach § 23 Abs. 1 Satz 3 TabStG erforderlichen Steuererklärung stellt sich dementsprechend stets als notwendiger (weiterer) Schritt zur Verwirklichung dieses Gesamtunrechts dar. Der Straftatbestand der Steuerhehlerei und die Regelungen des Tabaksteuergesetzes verfolgen mit der Verhinderung des Inverkehrbringens unversteuerter Zigaretten letztlich auch ein identisches Ziel, so dass durch die Steuerhinterziehung im Ergebnis kein weitergehendes Tatunrecht geschaffen wird. Zudem sind die Ausführungshandlungen der Steuerhehlerei und der Steuerhinterziehung hier zeitlich eng miteinander verknüpft, da mit der Übergabe der Zigaretten an die Angeklagte zeitgleich gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 TabStG die unverzüglich zu erfüllende Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung entsteht.

Die Angeklagte vermag Straffreiheit hinsichtlich der Steuerhehlerei auch nicht über eine möglicherweise in der Steuererklärung liegende Selbstanzeige zu erlangen. Denn die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige durch eine entsprechende Mitteilung gegenüber der Zollbehörde besteht für den Straftatbestand der Steuerhehlerei nach der Abgabenordnung nicht. So bezieht sich die Regelung in § 371 AO lediglich auf Steuerhinterziehungen gemäß § 370 AO.”

Neben den zuvor genannten Einschränkungsmöglichkeiten ist anerkannt, dass der Nemo-tenetur-Grundsatz auch zu einer Reduzierung des Umfangs der Erklärungspflicht führen kann. So kann der Stpfl. zwar weiterhin verpflichtet sein, den Umfang von illegal erlangten Vermögenswerten in der Steuererklärung anzugeben, muss jedoch keine weiteren Angaben über deren genaue Herkunft machen[7].

[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.10.2021
[2] Näher dazu Stre...

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