Rz. 308

[Autor/Stand] Auch dann, wenn in der Erfüllung der steuerlichen Offenbarungspflichten keine wirksame Selbstanzeige einer schon begangenen Steuerstraftat nach § 371 AO liegt, folgt daraus nicht, dass bei Zwang zur Selbstbelastung für § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO Straffreiheit anzunehmen wäre. Denn das Dilemma, sich entweder selbst belasten und strafrechtlicher Verfolgung aussetzen zu müssen oder sich erneut strafbar zu machen, lässt sich auch dadurch auflösen, dass zwar die Strafbewehrung der Pflicht, die steuerlich erheblichen Tatsachen zu offenbaren, bestehen bleibt, für die so offenbarten Angaben aber ein strafprozessuales Verwendungsverbot angenommen wird[2]. Zwar hat das BVerfG diesen Weg zunächst nur dann für gangbar gehalten, wenn der Zwang zur Selbstbelastung in einem vorkonstitutionellen Gesetz vorgesehen war[3], der BGH hat dies aber zutreffend auf das Steuerstrafrecht übertragen[4].

"Bei Anhängigkeit eines Steuerstrafverfahrens rechtfertigt es das Zwangsmittelverbot (nemo tenetur se ipsum accusare) nicht, die Abgabe von Steuererklärungen für nachfolgende Besteuerungszeiträume zu unterlassen. Allerdings besteht für die zutreffenden Angaben des Steuerpflichtigen, soweit sie zu einer mittelbaren Selbstbelastung für die zurückliegenden strafbefangenen Besteuerungszeiträume führen, ein strafrechtliches Verwendungsverbot."[5] Das gilt auch für die Verwertbarkeit von Angaben über die Vermögenssituation in einer eidesstaatlichen Versicherung, die im Beitreibungsverfahren erzwungen wird, für ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung im Festsetzungsverfahren. Hier ist allerdings schon fraglich, ob darin überhaupt eine Selbstbelastung liegt[6].

Soweit § 393 Abs. 2 Satz 2 AO einschlägig ist, ergibt sich ein Verwendungsverbot unmittelbar aus dem Gesetz, nämlich dann, wenn in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten Tatsachen offenbart werden, die zur Verfolgung einer Tat führen könnten, die keine Steuerstraftat ist. Allerdings ist problematisch, ob bzw. inwieweit ein Verwendungsverbot tatsächlich ausreichenden Schutz gewährleistet. Denn es muss sichergestellt und kontrollierbar sein, dass die Angaben auch nicht mittelbar verwertet werden[7].

[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.08.2023
[2] Peters in HHSp., § 370 AO Rz. 181; s. auch Wulf, wistra 2006, 89 (92 ff.).
[3] BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37 (45 ff.) = DB 1981, 984 = wistra 1982, 25 = ZIP 1981, 361.
[4] BGH v. 23.5.2019 – 1 StR 127/19 Rz. 12, StV 2019, 749 = ZWH 2019, 318 = wistra 2019, 509; BGH v. 10.2.2015 – 1 StR 405/14 Rz. 22, BGHSt 60, 188 = ZWH 2015, 228 m. Anm. Jehke = wistra 2015, 320; BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08 Rz. 27, BGHSt 53, 210 = wistra 2009, 312 = wistra 2009, 315; BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, NStZ 2005, 519 m. Anm. Rogall, NStZ 2006, 41 = wistra 2005, 148; s. auch BGH v. 17.3.2005 – 5 StR 328/04, NStZ 2005, 517 = wistra 2005, 228; Joecks in FS Kohlmann, S. 451 ff.
[5] BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, NStZ 2005, 519; s. auch BGH v. 17.3.2005 – 5 StR 328/04, wistra 2005, 228; a.A. LG Frankfurt/M. v. 31.10.2003 – 5-13 KLs 75/94 Js 96390/99, wistra 2004, 78 m. Anm. Rolletschke, wistra 2004, 246, das vom Wegfall der strafbewehrten Erklärungspflicht ausgeht.
[6] BGH v. 21.8.2012 – 1 StR 26/12, NZWiSt 2012, 470 (472) = ZWH 2013, 112 m. Anm. Kudlich = wistra 2012, 482.
[7] So auch Schott in Hüls/Reichling2, § 370 AO Rz. 122.

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