Leitsatz

Geht das Kind in dem Zeitraum, in dem es die gesetzlichen Voraussetzungen eines Berücksichtigungstatbestands i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG erfüllt, einer Erwerbstätigkeit nach und übersteigen seine gesamten Einkünfte und Bezüge den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag nicht, besteht ein Anspruch auf Kindergeld, unabhängig davon, ob es sich bei der Erwerbstätigkeit um eine Vollzeiterwerbstätigkeit handelt (Änderung der Rechtsprechung).

 

Normenkette

§ 32 Abs. 4 EStG

 

Sachverhalt

Die volljährige Tochter der Klägerin, die mit ihren Einkünften und Bezügen den Jahresgrenzbetrag nicht überschritt, war wöchentlich 30 Stunden in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt. Die Familienkasse war der Meinung, wegen dieser Vollzeiterwerbstätigkeit bestehe kein Anspruch auf Kindergeld.

 

Entscheidung

Der BFH sieht, da der Jahresgrenzbetrag unterschritten war, in der Vollzeiterwerbstätigkeit kein Hindernis für die Kindergeldberechtigung, sofern die Tochter weiterhin eine Berufsausbildung anstrebte, die sie mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen konnte. Der Fall wurde an das FG zurückverwiesen, um festzustellen, ob die Tochter ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht war.

 

Hinweis

Volljährige Kinder werden nach § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG berücksichtigt, wenn sie als Arbeitsuchende gemeldet sind (Nr. 1), für einen Beruf ausgebildet werden (Nr. 2 Buchst. a), sich in einer Übergangszeit zwischen Ausbildungsabschnitten befinden (Buchst. b) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen können (Buchst. c). Weitere Voraussetzung ist, dass die Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, den J ahresgrenzbetrag (ab 2005: 7.680 €) nicht übersteigen.

Der BFH vertrat bisher die Auffassung, dass ein Kind, bei dem ein Tatbestand nach Nr. 1 oder Nr. 2 Buchst. a bis c erfüllt ist und das einer Erwerbstätigkeit nachgeht, bei der der Jahresgrenzbetrag nicht überschritten ist, gleichwohl für die Monate, in denen es eine Vollzeiterwerbstätigkeit ausübt, nicht berücksichtigt werden kann. Ab welcher Wochenstundenzahl eine schädliche Vollzeiterwerbstätigkeit anzunehmen war, hatte der BFH noch nicht abschließend geklärt. Nach Verwaltungsanweisungen ist darauf abzustellen, ob das Arbeitsverhältnis über mindestens drei Viertel der branchenüblichen, tariflichen oder allgemein betriebsintern festgesetzten Arbeitszeit abgeschlossen ist (DA-FamEStG Abschn. 63.3.2.6 Abs. 2a Satz 2).

An dieser Rechtsprechung hält der BFH nicht mehr fest. Wenn die gesamten Einkünfte und Bezüge des Kindes im Kalenderjahr bzw. im maßgeblichen Zeitraum den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag nicht überschreiten, führt auch eine Vollzeiterwerbstätigkeit nicht dazu, dass der Kindergeldanspruch für die entsprechenden Monate entfällt.

Das bedeutet: Liegen die Berücksichtigungsvoraussetzungen für ein Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG für das gesamte Kalenderjahr vor und übersteigen die Einkünfte einschließlich der Vollzeiterwerbstätigkeit nicht den Jahresgrenzbetrag, besteht für das gesamte Jahr Anspruch auf Kindergeld.

Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die Eltern, wenn ein Berücksichtigungstatbestand nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG gegeben ist, jedenfalls wirtschaftlich belastet sind, sofern die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen. Mit diesem Regelungszweck lässt sich die bisherige Rechtsprechung nicht vereinbaren, ein Kind für die Monate einer Vollzeiterwerbstätigkeit nicht zu berücksichtigen, auch wenn seine Einkünfte/Bezüge (einschließlich der Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit) den Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen. Denn bezogen auf das Kalenderjahr sind die Eltern typischerweise mit Unterhaltszahlungen belastet und deshalb durch Kindergeld bzw. Kinderfreibetrag zu fördern.

Der Entscheidung lässt sich nicht deutlich entnehmen, was im umgekehrten Fall gilt, d.h. wenn der Jahresgrenzbetrag überschritten ist. Entfällt dann das Kindergeld für das gesamte Jahr? Hier sollte es bei der bisherigen – günstigen – Rechtsprechung bleiben. Danach wird das Kind nur in den Monaten der Vollzeiterwerbstätigkeit nicht berücksichtigt, sodass der Kindergeldanspruch nicht für das gesamte Kalenderjahr entfällt, sondern für den restlichen Zeitraum erhalten bleibt, sofern keine anderen erheblichen Einkünfte und Bezüge vorhanden sind.

Ist der – ggf. anteilige – Jahresgrenzbetrag unterschritten, erhebt sich allerdings die Frage, ob sich das Kind trotz einer Vollzeiterwerbstätigkeit noch in Ausbildung befindet (Buchst. a) oder eine Ausbildung anstrebt und nur mangels Ausbildungsplatzes gehindert ist, eine Berufsausbildung zu beginnen oder fortzusetzen (Buchst. c). Grundsätzlich schließt auch eine Vollzeiterwerbstätigkeit die Berücksichtigung nicht aus, sofern das Kind neben der Erwerbstätigkeit tatsächlich weiterhin ausgebildet wird oder eine Ausbildung anstrebt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 16.11.2006, III R 15/06

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