Kindergeld bei krankheitsbedingtem Ausbildungsabbruch

Eine Berücksichtigung wegen Berufsausbildung scheidet aus, sobald ein Kind sein Ausbildungsverhältnis krankheitsbedingt nicht nur unterbrochen, sondern – z.B. durch Abmeldung von der (Hoch-)Schule oder Kündigung des Ausbildungsverhältnisses – abgebrochen hat.

Hintergrund: Erkrankung während der Ausbildung

Streitig war der Kindergeldanspruch für April bis September 2017. Die (volljährige) Tochter (A) der Mutter (M) begann im Februar 2016 eine zweijährige schulische Ausbildung (als pharmazeutisch-technische Assistentin). Die Familienkasse setzte entsprechend Kindergeld fest.

Im September 2017 teilte M der Familienkasse mit, A sei ab September 2017 bis Februar 2018 vollzeitbeschäftigt. Danach werde sie ihre Ausbildung fortsetzen. Die Familienkasse ermittelt sodann, dass A bereits im März 2017 vorzeitig von der Schule abgegangen war. Die Familienkasse hob darauf die Kindergeldfestsetzung auf und forderte das Kindergeld für April bis Oktober 2017 von M zurück (1.344 EUR).

M wandte ein, A sei Ende 2016 erkrankt und nach ärztlichen Attesten nicht zu einer regelmäßigen Teilnahme am Schulunterricht fähig gewesen. Sie habe daher ab März 2017 mit der Ausbildung ausgesetzt, um diese im September 2017 wieder aufzunehmen. Da dies von der Schule nicht bewilligt worden sei, habe sie zur Überbrückung bis zur Fortsetzung der Ausbildung die Beschäftigung angenommen.

Die Familienkasse meinte dagegen, A habe mit dem Abgang von der Schule im März 2017 ihre Ausbildung beendet. Da eine Erklärung der A, nach Ende der Erkrankung weiterhin die Schule besuchen zu wollen, nicht vorliege, komme eine Berücksichtigung nicht in Betracht. Das FG gab der Klage statt. A habe ihre Ausbildung nicht "abgebrochen", sondern lediglich "unterbrochen". Sie habe die Fortsetzung ihrer Ausbildung beabsichtigt und sei ausbildungswillig gewesen.

Entscheidung: Nachweis der Ausbildungswilligkeit bei Unterbrechung der Ausbildung

Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG hat falsch beurteilt, dass A sich im Streitzeitraum noch in Berufsausbildung befand (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Zu der Frage, ob A entsprechend ausbildungswillig war (Buchst. c), fehlen ausreichende Feststellungen des FG.

Kein Kindergeldanspruch bei Abbruch der Ausbildung

Eine Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) setzt voraus, dass das Kind einen Ausbildungsplatz hat und ausbildungswillig ist (BFH v. 15.7.2003, VIII R 47/02, BStBl II 2003, 848). Wird das Ausbildungsverhältnis beendet (z.B. durch Abmeldung von der Schule oder Aufhebung des Ausbildungsvertrags) fehlt es am formalen Fortbestehen eines Ausbildungsverhältnisses. Dementsprechend kommt für A eine Berücksichtigung unter dem Gesichtspunkt der Berufsausbildung ab April 2017 nicht mehr in Betracht. Denn sie hat mit der Abmeldung von der Schule ihre Ausbildung (infolge der Erkrankung) nicht nur unterbrochen, sondern abgebrochen.

Berücksichtigung bei fehlendem Ausbildungsplatz

Die Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG setzt voraus, dass der Beginn der Ausbildung nicht an anderen Gründen als dem Mangel eines Ausbildungsplatzes scheitert (BFH v. 12.11.2020, III R 49/18, BFH/NV 2021, 601). Ist ein Kind aus Krankheitsgründen gehindert, sich um einen Ausbildungsplatz zu bewerben oder diesen zum nächstmöglichen Ausbildungsbeginn anzutreten, kommt eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG daher nur unter eingeschränkten Voraussetzungen in Betracht.

Vorübergehende Erkrankung

Zunächst muss es sich um eine vorübergehende Krankheit handeln. Dieses Erfordernis ergibt sich aus der Abgrenzung zu den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG geregelten Fällen (Behinderung). Die gesundheitliche Beeinträchtigung an der Aufnahme einer Ausbildung darf regelmäßig nicht länger als sechs Monate andauern. Entscheidend ist die zu erwartende Dauer der Funktionsbeeinträchtigung (BFH v. 27.11.2019, III R 44/17, BStBl II 2020, 558).

Ausbildungswilligkeit

Außerdem muss die Ausbildungswilligkeit des Kindes für den Anspruchszeitraum nachgewiesen werden. Das Kind muss sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemühen (BFH v. 22.9.2011. III R 35/08, BFH/NV 2012, 232). Zur Vermeidung missbräuchlichen Inanspruchnahme des Kindergeldes muss sich die Ausbildungsbereitschaft durch belegbare Bemühungen um einen Ausbildungsplatz objektiviert haben (BFH v. 22.9.2011, III R 35/08, BFH/NV 2012, 232).

Nachweis der Ausbildungswilligkeit bei vorübergehender Erkrankung

Als Nachweis kommt etwa die schriftliche Erklärung, sich unmittelbar nach Ende der Krankheit um eine Berufsausbildung zu bemühen, in Betracht (A 17.2 Abs. 1 Satz 4 DA-KG 2021). Ebenso denkbar ist, dass das Kind während der Erkrankung den früheren Ausbildungsbetrieb oder eine andere Ausbildungseinrichtung wegen einer (Wieder-)Aufnahme der Ausbildung konkret anspricht.

Zurückverweisung an das FG

Im Streitfall hat das FG keine genaueren Feststellungen zur Art voraussichtlichen Dauer der Erkrankung getroffen. Bei länger dauernder Erkrankung kommt eine Berücksichtigung als behindertes Kind in Betracht (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG). Es fehlen auch nähere Feststellungen zur Frage der Ausbildungswilligkeit für den gesamten Streitzeitraum von April bis September 2017. A hat zwar im April 2017 gegenüber der Schule ihre weitere Ausbildungswilligkeit dokumentiert. Wegen der Aufnahme der Vollzeitbeschäftigung ab September 2017 könnte der Entschluss zur Aufnahme dieser Erwerbstätigkeit bereits im Zeitraum ab März 2017 gefasst worden sein.   

Hinweis: Zeitnaher Nachweis der Ausbildungswilligkeit

Der Streitfall ist dadurch gekennzeichnet, dass M der Familienkasse die Abmeldung von der Schule im März 2017 nicht mitgeteilt hat, sondern (erst) im September 2017 die Vollzeiterwerbstätigkeit gemeldet hat. Damit hat M der Familienkasse die Möglichkeit genommen, zeitnah einen Nachweis über die Ausbildungswilligkeit für März bis September anzufordern. Da in solchen Fällen nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Kind während der Erkrankung seinen Ausbildungswillen aufgegeben hat, ist im Streitfall der konkrete Nachweis der Ausbildungswilligkeit gerechtfertigt. Dabei kann ein Nachweis alle drei Monate ausreichen (BFH v. 22.9.2011, III R 35/08, BFH/NV 2012, 232).

BFH Urteil vom 31.08.2021 - III R 41/19 (veröffentlicht am 10.02.2022)

Alle am 10.02.2022 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen.


Schlagworte zum Thema:  Kindergeld, Ausbildung, Arbeitsunfähigkeit