Leitsatz

Die abstrakte Möglichkeit, dass in späteren VZ Ereignisse eintreten, die (als sog. Definitiveffekte) im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung der Regelungen zur sog. Mindestbesteuerung auf den VZ zurückwirken könnten, führt nicht zu einer Ungewissheit i.S.d. § 165 Abs. 1 Satz 1 AO darüber, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer in diesem VZ eingetreten sind.

 

Normenkette

§ 8c KStG, § 165 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nrn. 3 und 4 AO, § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine als geschäftsleitende Holding tätige und in einen französischen Konzern eingebundene GmbH, ist sowohl körperschaftsteuerrechtliche als auch gewerbesteuerrechtliche Organträgerin einer weiteren GmbH. Nach einer Außenprüfung ergingen – unter Anwendung der sog. Mindestbesteuerung – Änderungsbescheide zur KSt und zum GewSt-Messbetrag 2004 sowie zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur KSt und zur gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes, jeweils auf den 31.12.2004. Gegen diese Bescheide wandte sich die Klägerin mit Einsprüchen. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass – im Rahmen der Steuererklärungen des Jahres 2008 gegenüber dem FA offenbarte – (ausländische) Umstrukturierungen im Konzern den Bestand der Verlustvorträge nach § 8c KStG gefährden könnten, müssten die Veranlagungen aller Jahre, in denen die Mindestbesteuerung zur Anwendung gekommen sei (damit auch das Streitjahr), für eine entsprechende Korrektur offengehalten werden. Sie beantragte deshalb, die Bescheide insoweit nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig zu erlassen.

Das lehnte das FA ab. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (FG Köln, Urteil vom 11.4.2013, 13 K 889/12, Haufe-Index 4739058, EFG 2013, 1374).

 

Entscheidung

Auch der BFH half dem nicht ab und wies die Revision als unbegründet zurück. Es mangele schlicht an einer tatsächlichen Ungewissheit über das Entstehen der KSt und der GewSt. Vor allem einer solchen Ungewissheit bedürfe es aber für den begehrten Vorläufigkeitsvermerk.

 

Hinweis

1. Es wurde darum gestritten, ob das FA verpflichtet ist, Festsetzungen oder Feststellungen im Jahre 01 wegen der Anwendung der sog. Mindestbesteuerung gem. § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG und § 10a Satz 2 GewStG mit einem Vorläufigkeitsvermerk i.S.d. § 165 Abs. 1 AO zu versehen, weil sich

  • die Mindestbesteuerung in späteren Jahren (z.B. in 09, 10 oder 11 oder sonstwann) zu einem definitiven Verlust des Verlustabzugs "auswachsen" könnte,
  • was wiederum u.U. verfassungswidrig wäre und deswegen in verfassungskonformer Weise rückwirkend den Verlustabzug doch noch auch im Jahre 01 ermöglichen würde.

2. Unabhängig davon, ob die letztere Annahme – die verfassungskonforme Rückwirkung der "Definitivsituation" bei der sog. Mindestbesteuerung – zutrifft, gibt der BFH einem solchen Ansinnen auf einen "vorgreiflichen" Vorläufigkeitsvermerk aber keine Chance. Es fehlt schlicht an den tatbestandlichen Erfordernissen des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO.

Denn dazu gehört die tatsächliche Ungewissheit über die Entstehung der betreffenden Steuer. Davon kann unter den gegebenen Umständen jedoch keine Rede sein. Auch dann nicht, wenn sich Jahre später ein rückwirkendes Korrekturerfordernis des betreffenden VZ herausstellen sollte, hier: infolge des sog. Definitiveffektes im Zusammenhang mit der Mindestbesteuerung, zu welchem sich Einzelnes dem BFH-Urteil vom 22.8.2012, I R 9/11 (BStBl II 2013, 512, BFH/NV 2013, 161, BFH/PR 2013, 41) entnehmen lässt. Allein maßgebend ist die "Perspektive des Steuerentstehungszeitpunktes".

3. Es fehlt auch an einem "Vorläufigkeitsgrund" i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 2 AO. Dafür bedürfte es eines beim EuGH, beim BVerfG oder bei einem Bundesgericht anhängigen einschlägigen Rechtsstreits, in welchem die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand ist. Auch das ist nicht der Fall. Zwar "hängt" beim BVerfG die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 2998/12 gegen das BFH-Urteil vom 22.8.2012, I R 9/11 (BStBl II 2013, 512, BFH/NV 2013, 161, BFH/PR 2013, 41). Nur betrifft jenes Urteil die Frage, ob ein Definitiveffekt schon aus einer aktuell und voraussichtlich auch zukünftig gewinnlosen Geschäftstätigkeit erwächst. Dies ist nicht die Frage der in die Vergangenheit zurückwirkenden künftigen Definitivsituation.

4. Ob und in welcher Weise dem Steuerpflichtigen geholfen werden kann, wenn es denn später tatsächlich zu einem solchen zurückwirkenden Definitiveffekt kommt, steht in den Sternen. Vermutlich wird das über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gelingen (s. dazu bereits in BFH/PR 2013, 41). Im Ergebnis belässt der BFH dies aber offen. Er schließt auch nicht aus, dass das Verfahrensrecht dafür in Einzelfällen und in bestimmten Konstellationen überhaupt kein Instrument zur Verfügung stellt. Das gibt ihm aber keinen Grund, den Tatbestand des § 165 Abs. 1 AO vorgreiflich zu "dehnen".

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 17.12.2014 – I R 32/13

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