Nach § 42 AO, der allgemeinen steuerlichen Grundregel zu Missbrauchsbekämpfung, werden rechtliche Gestaltungen, die den wirtschaftlichen Vorgängen nicht angemessen sind, steuerlich nicht anerkannt. Die ständige Rechtsprechung des BFH sieht den Missbrauchstatbestand dann als erfüllt an, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die unangemessen ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, und die allein auf die Steuerminderung abzielt und keine außersteuerlichen Gründe erkennen lässt[1]

Die spezielle Missbrauchsvorschrift des § 50d Abs. 3 EStG stellt eine Anti-Treaty-Shopping Regelung dar, die eine deutsche Quellensteuerbefreiung oder -ermäßigung bestimmter ausländischer Gesellschaften, die keine wirtschaftliche Funktion haben, verbietet. Sie ist im Verhältnis zu § 42 AO vorrangig anzuwenden und normiert spezielle Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen für den Fall der Zwischenschaltung ausländischer Gesellschaften, an denen Personen beteiligt sind, denen die Quellensteuerentlastungen bei direkter Zurechnung der quellensteuerpflichtigen Einkünfte nicht zustehen würden.

Die Tatbestände des § 50d Abs. 3 EStG bis VZ 2006 greifen die ständige Rechtsprechung des BFH zur steuerlichen Anerkennung von zwischengeschalteten Gesellschaften (Basisgesellschaften, Domizilgesellschaften) auf und konkretisieren auf diese Weise die missbräuchlichen Sachverhaltsgestaltungen. Als missbräuchliche Sachverhaltsgestaltung kommt die Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft in Betracht, wenn es für die Errichtung der Gesellschaft weder wirtschaftliche noch sonstige beachtliche Gründe gibt und wenn die Gesellschaft keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet.[2] Das Fehlen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit ist nach Auffassung des BFH ein wichtiges Indiz für eine ungewöhnliche rechtliche Gestaltung bzw. für das Fehlen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe für die Einschaltung der ausländischen Kapitalgesellschaft. Weiterhin ist jedoch zu prüfen, ob die Kapitalgesellschaft tatsächlich unternehmerisches Risiko trägt und Aktivitäten vornimmt, die über bloße Verwaltungs- oder Rechtshandlungen hinausgehen.

Über viele Jahre bejahte der BFH die eigenwirtschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft nur unter der Voraussetzung, dass sie für eine gewisse Dauer bestand und über ein Mindestmaß an Personal- und Sachausstattung verfügte. Funktionslosen Basisgesellschaften, die nur zu einem vorübergehenden Zweck errichtet wurden bzw. weder Personal noch Sachmittel hatten und nach Auffassung des BFH daher keine geschäftliche Aktivität entfalten konnten, wurde die Quellensteuerentlastung regelmäßig untersagt. Gesellschaften, die mit eigenem Personal und Sachgütern ausgestattet waren, wurden demgegenüber nicht als rechtsmissbräuchlich beurteilt.[3]

Eine Änderung der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung war bei den Entscheidungen des BFH zu den im International Finance und Service Centre (IFRC) in Dublin ansässigen irischen Gesellschaften festzustellen, in welchen der BFH das Outsourcing der Geschäftsführung und des Tagesgeschäftes irischer Kapitalanlagegesellschaften nicht als missbräuchlich beurteilt hatte.[4]

Mit seinem Urteil vom 31.5.2005[5] folgt der BFH seinen Entscheidungen zu den irischen Finanzierungsgesellschaften, indem er ausländischen vermögensverwaltenden Holdinggesellschaften die deutsche Quellensteuerentlastung (§ 44d EStG a. F; § 43 EStG n. F.) gewährt, obwohl die Gesellschaften weder mit Personal noch mit Sachmitteln ausgestattet waren.

Eine andere Rechtsauffassung vertritt der BFH in seinem Urteil v. 29.1.2008.[6] Dabei ging es um den deutschen Kapitalertragsteuererstattungsanspruch einer Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts (société de participations financières kurz SOPAFRI), die infolge der Beteiligung an einer deutschen GmbH in Deutschland beschränkt steuerpflichtig war. Die Gründung der SOPAFRI erfolgte auf Veranlassung des in der Schweiz ansässigen AX, der von Anfang an wirtschaftlicher Berechtigter der Gesellschaftsanteile war. Die SOPAFRI hatte weder eigenes Personal noch eigene Büroräume noch einen eigenen Geschäftsbetrieb. Die geschäftsführenden Aufgaben wurden von einem Mitglied ihres Verwaltungsrats auf Honorarbasis wahrgenommen, der ihr auch Räumlichkeiten, Telefon und Fax zur Verfügung stellte. Die SOPAFRI hielt Beteiligungen an europäischen Unternehmen und gewährte konzerninterne Darlehen. Zweck der SOPAFRI war die Verwaltung des Beteiligungsbesitzes von Herrn AX. Schriftliche Konzernrichtlichtlinien gab es nicht. Die Darlehensverträge wurden zunächst mündlich vereinbart und später schriftlich fixiert. Sie waren wechselseitig in den Bilanzen ausgewiesen. Im Unterschied zum Sachverhalt des BFH-Urteils vom 31.5.2005[7], gab es neben der luxemburgischen SOPAFRI kein aktives Konzernumfeld in Luxemburg.

Der BFH lehnte die Erstattung von Kapitalertragsteuer ab, weil eine rein künstliche Sachverhaltsgestaltung vorlag und die Konstruktion somit als ein steuerlicher Gestaltungsmissbrauch zu würden ...

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