Im Rahmen der abgabenrechtlichen Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist als Untergrenze (Mindestwert) stets der Substanzwert als Summe der gemeinen Werte aller einzelnen Wirtschaftsgüter der Kapitalgesellschaft abzgl. der Schulden zu berücksichtigen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 BewG). Das gilt über die §§ 97 Abs. 1a, 109 Abs. 2 Satz 1 BewG für die Bewertung von Anteilen an Betriebsvermögen (Personengesellschaften) entsprechend.

Beraterhinweis Die Berücksichtigung des Substanzwerts als Untergrenze bildet einen wesentlichen Unterschied des vereinfachten Ertragswertverfahrens zu anderen ertragsorientieren Bewertungsverfahren, z.B. nach dem Standard IDW S 1. Der IDW S 1 lässt lediglich die hilfsweise Ermittlung eines Liquidationswerts zu (IDW S 1, Abschnitt 2.1, Rz. 6, Abschnitt 8.4, Rz. 171). Einzelwirtschaftsgüter sind dabei i.R.d. IDW S 1 nicht auf Fortführungsbasis zu bewerten.

aa) Wortlaut und Gesetzessystematik

Das vereinfachte Ertragswertverfahren, das in den §§ 200 ff. BewG geregelt ist, ordnet die Berücksichtigung des Substanzwerts als Mindestwert selbst nicht an. Die diesbezügliche Regelung beruht allein auf § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG und ist gem. den §§ 199 Abs. 1, 109 BewG als Untergrenze zur Bestimmung des gemeinen Werts zu berücksichtigen, wenn Anteile nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren zu bewerten sind. Vereinbaren die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag daher "nur" die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens zur Bewertung des Anteils, ist damit dem Wortlaut nach der Substanzwert als Untergrenze des Abfindungsguthabens nicht maßgeblich. Das ist folgerichtig, da das Gesetz selbst das vereinfachte Ertragswertverfahren als eine von mehreren Bewertungsmethoden führt und an einem gesonderten Standort in den §§ 200 ff. BewG regelt.

Streitig und nicht rechtssicher wäre allerdings auch die Frage, ob der Substanzwert überhaupt für das vereinfachte Ertragswertverfahren zu berücksichtigen ist (Streitstand: Eisele in Rössler/Troll, BewG, Stand: 33. EL 1/2021, § 11 Rz. 39). Auch wenn die Finanzbehörden bei der abgabenrechtlichen Bewertung den Substanzwert bei Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahren berücksichtigen (R B 11.5 Abs. 1 Satz 1 ErbStR 2019), ist jedoch nicht gesichert, dass die Zivilgerichte dieser Ansicht in einem Streit über die Abfindungshöhe folgen.

bb) Rechtsunsicherheit im Abfindungsstreit

In diesem Fall dürfte das Abfindungsergebnis den ausscheidenden Gesellschafter kaum zufriedenstellen und er kann sich mit Recht darauf berufen, dass ihm der "wirkliche Wert des Unternehmens einschließlich aller stillen Reserven und einschließlich des good will" zusteht (BGH v. 30.4.2001 – II ZR 328/00, NJW 2001, 2638). Der Substanzwert als Summe der gemeinen Werte (§ 9 Abs. 2 BewG) der Einzelwirtschaftsgüter des zu bewertenden Unternehmens beinhaltet die stillen Reserven. Eine Abfindung, die den ausscheidenden Gesellschafter nicht in vollem Umfang auch an stillen Reserven und good will des Unternehmens beteiligt, kann eine verbotene Kündigungsbeschränkung gem. § 723 Abs. 3 BGB oder eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung i.S.d. § 242 BGB darstellen.

Aus der Rspr. des BGH lässt sich hierzu jedoch kein eindeutiger Rahmen ableiten. Es wäre verfehlt, jede Unterschreitung des Substanzwerts als unzulässiges Abfindungsergebnis zu behandeln. Einerseits verwarf der zweite Senat Abfindungsklauseln zum Buchwert, die im Ergebnis zu einer Abfindung von nur etwa 20 % bzw. 50 % des Verkehrswerts führten (BGH v. 23.10.1972 – II ZR 31/70, NJW 1973, 651; BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, NJW 1989, 2685). Andererseits ist nach dem Urteil desselben Senats (BFH v. 24.9.1984 – 256/83, NJW 1985, 192) der Wert einer Beteiligung nicht aus der Addition des Buchwerts mit den stillen Reserven, sondern aus dem Marktwert zu ermitteln, der regelmäßig auf den Ertragsaussichten beruht und auch unter dem Buchwert liegen könne.

Daher können die Gesellschafter und ihre Berater nicht eindeutig abgrenzen, ob und wann trotz Ausschluss des § 11 Abs. 2 BewG der Substanzwert bei der Wertermittlung zu berücksichtigen ist.

cc) Lösungsansatz

Ist lediglich das vereinfachte Ertragswertverfahren als Methode zur Berechnung des Abfindungsguthabens eines ausscheidenden Gesellschafters vereinbart, besteht für den ausscheidenden wie für die verbleibenden Gesellschafter also Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Wirksamkeit und der Durchsetzbarkeit der Abfindungsregelung, sollte die auf dieser Grundlage ermittelte Abfindung deutlich unter dem Verkehrswert liegen. Ist den Gesellschaftern an einer rechtssicheren Regelung der Abfindung gelegen, ist im Zweifel die Anwendung des BewG insgesamt oder aber eine vertragliche Regelung der Wertuntergrenze zu empfehlen.

In Betracht kommt eine Anpassung der Abfindungsklausel dahingehend, dass das Ergebnis einer Wertermittlung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren mit einem anderen feststehenden Wert, wie bspw. dem handelsrechtlichen Buchwert oder Steuerbilanzwert, verprobt werden muss.

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