Leitsatz

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob bei Zugrundelegung des EuGH-Urteils vom 27.6.1996, Rs. C?107/94, "Asscher" (IStR 1996, 329), der in § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG bestimmte Mindeststeuersatz für beschränkt Steuerpflichtige mit dem Diskriminierungsverbot in Art. 52 ff. EGV (= Art. 43 ff. EGV i.d.F. des Vertrags von Amsterdam) vereinbart werden kann.

 

Normenkette

§ 50 Abs. 3 Satz 2 EStG , Art. 52 ff. EGV a.F.

 

Sachverhalt

Es ging um eine niederländische Staatsangehörige mit Wohnsitz in den Niederlanden. Sie erzielte dort im Streitjahr 1998 einen Gewinn aus Gewerbebetrieb. In der Bundesrepublik Deutschland ist sie beschränkt steuerpflichtig, weil sie sich hier an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts beteiligt hat und aus dieser ebenfalls Einkünfte bezog. Das Finanzamt setzte die ESt unter Berücksichtigung des Mindeststeuersatzes von 25 % des Einkommens gem. § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG fest. Dagegen hat die Steuerpflichtige beim Finanzgericht Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.

Dem Antrag der Steuerpflichtigen, die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids auszusetzen, gab das Finanzgericht teilweise statt, indem es nach Abzug des Sonderausgabenpauschbetrags auf das zu versteuernde Einkommen den Steuersatz nach der Grundtabelle (§ 50 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 32a EStG) von 17,43 % anwandte.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Beschwerde des Finanzamts zurückgewiesen. Er hält es im Rahmen der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung für ernstlich zweifelhaft, ob der Mindeststeuersatz in § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Der Europäische Gerichtshof habe im "Asscher"-Urteil (vgl. Praxis-Hinweis) eine mittelbare Diskriminierung gesehen, wenn für bestimmte Gebietsfremde ein höherer Einkommensteuersatz als für Gebietsansässige gelte.

Allerdings bleibe bislang noch unbeantwortet, wie sich der Umstand auswirke, dass der Gebietsansässige im Inland mit seinem gesamten Einkommen steuerpflichtig und deshalb im Gegensatz zu dem Gebietsfremden einer höheren Steuerprogression unterworfen sei. Die Antwort hierauf müsse aber dem Hauptverfahren vorbehalten bleiben.

 

Hinweis

1. Die Bedeutung des EU-Gemeinschaftsrechts beschränkte sich in der Vergangenheit vornehmlich auf das Umsatzsteuer- und Zollrecht. Was das Ertragsteuerrecht anbelangt, gibt es zwar bereits die eine oder die andere EuGH-Entscheidung, so z.B. zur gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnung von Leasingraten gem. § 8 Nr. 7 GewStG beim sog. cross-border-Leasing das EuGH-Urteil vom 26.10.1999 (Rs. C-294/97 'Eurowings', IStR 1999, 693). Es gibt auch die eine oder die andere Diskussion, gerade zum Körperschaftsteuerrecht (§ 8a KStG, vgl. das EuGH-Vorabentscheidungsersuchen des FG Münster, Beschluss vom 21.8.2000, EFG 2000, 1273) und zum Außensteuerrecht (§ 1 AStG, vgl. FG Münster, Beschluss vom 31.8.2000, EFG 2000, 1389, Beschwerde Az. I B 141/00).

Seit einiger Zeit ist überdies das deutsche Bilanzsteuerrecht in den europarechtlichen Blickpunkt geraten; der BFH hat hier aber erst kürzlich – in der Sache 6/96 (s. Urteil vom 8.11.2000, DStR 2001, 290) – einen 'Rückzieher' gemacht und die nationale 'Souveränität' insoweit (jedenfalls vorläufig) wiederhergestellt. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.

Aktuelle ertragsteuerrechtliche Relevanz hat die europarechtliche Dimension hingegen derzeit vor allem im Hinblick auf die mögliche Diskriminierung von sog. gebietsfremden Marktbürgern, vulgo: beschränkt Steuerpflichtige aus anderen EG-Staaten. Der EuGH hat dazu im Fall Asscher (Urteil vom 27.6.1999, Rs. C-107/94, IStR 1996, 329) entschieden, dass es einen mittelbaren Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des EG-Vertrags darstelle, wenn die ESt-Sätze zwischen einem gebietsfremden und einem gebietsansässigen EG-Bürger zum Nachteil des gebietsfremden differierten. Der ausschließlich für Letztere geltende Mindeststeuersatz von 25 % in § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG kann exakt eine solche Benachteiligung darstellen.

2. Es fragt sich indes, wie sich der Umstand auswirkt, dass der Gebietsansässige im Inland mit seinem gesamten Welteinkommen steuerpflichtig und deswegen – anders als der Gebietsfremde – einer höheren Steuerprogression ausgesetzt ist. Der Gebietsfremde hat möglicherweise wiederum Nachteile in seinem Wohnsitzstaat infolge der dort anzuwendenden abkommensrechtlichen Freistellungs- oder Anrechnungsmethode.

Es stellt sich insoweit die ausschlaggebende Frage danach, wie weit der Vergleich der beiden Personengruppen gezogen wird, ob nur bezogen auf das Inland unter betragsmäßigem Abgleich der konkreten Steuervor- und Steuernachteile oder aber auf eine überstaatliche 'Gesamtschau' unter Einbeziehung weiterer Faktoren.

Der erstere Vergleichsrahmen liefe im Ergebnis auf den vom EuGH kreierten Gesichtspunkt der sog. Kohärenz hinaus: Der Kohärenzgedanke kann eine steuerliche Schlechterstellung des Gebietsfremden im Einzelfall (nur dann) rechtfertigen, wenn der Betroffene infolge eines ,Kompensats' im Ergebnis dem Gebietsansässigen dann doc...

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