Rz. 20

Die Regelung lässt die verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Hebesatzrecht der Gemeinden (Art. 28 GG) unberührt, weil sie dieses Recht bestehen lässt und gleichzeitig versucht, die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Rechts – wenn auch in pauschalierender Weise – zu neutralisieren. Die h. M. geht davon aus, dass kein Eingriff in das Finanzverfassungssystem vorliegt, weil keine vollständige Neutralisierung der GewSt erfolgt[1].

 

Rz. 21

§ 35 EStG ist die Nachfolgeregelung zu § 32c EStG, der eine Tarifkappung für gewerbliche Einkünfte vorsah. Diese Regelung wurde wegen eines möglichen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz stark kritisiert[2]. Im Wesentlichen wurden die folgenden Punkte als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG genannt:

  • Die Begünstigung gewerblicher Gewinne verletze das Gebot einer grundsätzlich gleichen folgerichtigen Belastung verschiedener Einkunftsarten, wobei die Sonderbelastung der gewerblichen Einkünfte mit GewSt als nicht ausreichende Rechtfertigung angesehen wurde.
  • Die Tarifentlastung erfolge nur in den Fällen, in denen der Anteil der gewerblichen Einkünfte am zu versteuernden Einkommen einen bestimmten Betrag überschreite.
  • Anteilseigner von Körperschaften würden benachteiligt, weil die Dividendenbesteuerung die gewerbesteuerliche Vorbelastung bei der ausschüttenden Körperschaft unberücksichtigt lasse.

Das BVerfG[3] hat einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG verneint. Kapitalgesellschaften bewirken eine Abschirmwirkung hinsichtlich der Vermögenssphäre ihrer Anteilseigner, die vom Steuerrecht zu respektieren wäre. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Regelung insoweit verfassungskonform sind. Ferner ist den unterschiedlichen Mechanismen – Doppelbelastung bei Kapitalgesellschaften mit niedrigem KSt-Satz sowie hoher ESt-Satz und Anrechnung der GewSt – Rechnung zu tragen. Dies führt zu einer Rechtfertigungsmöglichkeit einer Ungleichbehandlung.

 

Rz. 22

Fraglich könnte sein, ob die grundsätzliche Vorgehensweise des Gesetzgebers mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Folgerichtigkeit gesetzlicher Regelungen bzw. das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung zu vereinbaren ist[4]. Diese Zweifel beruhen darauf, dass einerseits die GewSt erhoben wird, die hieraus entstehende Belastung jedoch anschließend wieder durch eine Entlastung bei einer anderen Steuer neutralisiert werden soll. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungs- und Ermessensspielraum bei der Formulierung steuerlicher Regelungen eingeräumt hat. Fraglich ist, ob die Auswirkungen dieser Vorgehensweise nur auf die Ebene der Stpfl. beschränkt werden können, oder ob eine Rechtfertigung damit erfolgen kann, dass auch bei einer vollständigen Neutralisierung der Auswirkungen für den Stpfl. gleichwohl ein Effekt hinsichtlich der Verteilung des Steueraufkommens auf die Steuergläubiger verbleibt. Insoweit könnte ­damit dem Vorwurf eines Verstoßes gegen die Folgerichtigkeitsanforderungen begegnet werden.

 

Rz. 23

Als gleichheitsrechtlich problematisch könnte sich der Fall erweisen, dass bei einem Stpfl. das Vorliegen von Verlusten aus einer anderen Einkunftsquelle einer Nutzung der Anrechnung entgegensteht, während bei einem anderen Stpfl., der nur die positiven Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, eine Anrechnung erfolgen kann. Der BFH hat allerdings entschieden, dass ein Verfall von Anrechnungsüberhängen verfassungskonform ist, wenn die tarifliche ESt aufgrund eines Verlustabzugs gem. § 10d EStG auf Null verringert ist[5]. Da in einem solchen Fall keine Doppelbelastung mit GewSt und ESt eintritt, erscheint dies als vertretbar.

 

Rz. 24

Ein Verfassungsverstoß liegt auch nicht darin, dass für bestimmte Stpfl. eine vollständige Entlastung von der GewSt erfolgt, während für infolge der Begrenzung auf das nunmehr 3,8-Fache des GewSt-Messbetrags eine zusätzliche Belastung mit GewSt verbleibt. Das BVerfG räumt dem Gesetzgeber in st. Rspr. einen großen Gestaltungsspielraum beim Einsatz von Pauschalierungsregelungen ein, auch wenn es hierbei zu Ungleichbehandlungen kommt. Allerdings gibt es Grenzen. Diese resultieren daraus, dass ein Bedürfnis für die Pauschalierung bestehen muss, die Pauschbeträge zur Vereinfachung geeignet sein müssen; zudem dürfen sie nicht unverhältnismäßig hoch oder niedrig sein[6]. Vor dem Hintergrund der vielfachen Anwendung der Regelung und der damit verbundenen Notwendigkeit nach einem Massenverfahren genügenden Vorschriften, erscheint die Regelung noch im Rahmen dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.

[1] Vogel/Walter in Bonner Kommentar zum GG, Art. 106, Rz. 193; Siekermann, in: Sachs (Hrsg.), GG Art. 105, Rz. 40; Hidien, BB 2000, S. 485; a. A. z. B. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Köln 1994, S. 1088.
[3] BVerfG v. 21.6.2006, 2 BvL 2/99, BGBl I 2006, 1857.
[4] Hey, FR 2001, 870 [877]; H/H/R, EStG, § 35 Rz. 5.

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