Rz. 99

Nach einer langjährigen Rspr. des BFH sprach eine generelle Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit von Prozesskosten.[1] Eine Zwangsläufigkeit sollte nur in Ausnahmefällen vorliegen, insbesondere sofern das der Grund für die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch, um den es bei der gerichtlichen Verfolgung ging, als adäquat verursachendes Ereignis entsprechend zwangsläufig war. Dies sollte nur dann erfüllt sein, sofern der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich des menschlichen Lebens berührte.[2]

Der BFH gab diese Rspr. kurzzeitig auf und hat Zivilprozesskosten bereits dann als zwangsläufig angesehen, sofern die Prozessführung nicht mutwillig erschien und der Prozess hinreichend Aussicht auf Erfolg bot.[3] Keine Änderung sollte sich hingegen für Kosten eines Strafprozessverfahrens ergeben.[4]

Der Gesetzgeber hatte durch ein "Nichtanwendungsgesetz" auf die neue Rspr. reagiert und durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz[5] eine Neuregelung in das Gesetz aufgenommen, wonach ein Abzug von Prozesskosten nur noch dann möglich ist, wenn der Stpfl. ohne die Führung des Prozesses seine Existenzgrundlage verlieren würde und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen könnte (Rz. 8).[6] Die Regelung soll für den Vz 2013 erstmalig in Kraft treten.

Für frühere Vz vor Inkrafttreten der Neuregelung hat der BFH mit Urteil v. 18.6.2015 erneut die Rspr. geändert und ist für Vz vor 2013 zur "alten" Rechtsprechung zurückgekehrt.[7]

 

Rz. 99a

Fraglich ist allerdings, ob die nun vorliegende gesetzliche Regelung mit der alten Rechtslage übereinstimmt, da der Gesetzgeber die Voraussetzungen für den Abzug isoliert aus der vorherigen Rspr. herausgezogen hat. Die Vorschrift ist erst im Rahmen der Beschlussempfehlung des 7. Finanzausschusses in das Gesetzgebungsverfahren gelangt.[8] Zu der letztlich in das Gesetz aufgenommenen Fassung liegt keine Gesetzesbegründung vor. Einem vorangegangenen Versuch zur Kodifizierung dieser Regelung lässt sich indes einer Gesetzesbegründung entnehmen, dass die Anwendbarkeit des Abzugs außergewöhnlicher Belastungen auf einen "engen Rahmen" beschränkt werden sollte.[9]

Aufgrund des Umstands, dass der Gesetzgeber die Formulierung des Gesetzestextes indes nahezu wortgleich aus der "alten" Rspr. des BFH übernommen hat, kann m. E. davon ausgegangen werden, dass eben diese Rechtslage wieder hergestellt werden sollte, wenn auch Einschränkungen zu beachten sind.[10] Nicht vergessen werden darf zudem, dass die Regelung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG nicht die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 EStG suspendiert oder durch eine speziellere Regelung verdrängt. Vielmehr müssen die generellen Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 EStG auch im Anwendungsbereich des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG weiterhin erfüllt sein, d. h. der Stpfl. darf nicht durch eigenes Verschulden für die Zwangslage verantwortlich sein, die zum Prozess geführt hat. Prozesskosten aus Betrugsfällen sind daher regelmäßig nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar, insbesondere wenn der Stpfl. die betrügerische Vertragskonstellation durch freien Willen eingegangen ist.[11]

 

Rz. 99b

Die Regelung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG ist grundsätzlich auf sämtliche Prozesse anzuwenden, d. h. sämtliche Gerichtsbarkeiten umfassende Verfahren, neben Zivil- u. a. auch Strafrechtsprozesse.

Der Stpfl. muss Gefahr laufen, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr erfülllen zu können. Hierbei ist zunächst auf das für den Prozess adäquat ursächliche Ereignis, nicht auf das Gerichtsverfahren selbst abzustellen.

Die jüngste Rspr. des BFH bezieht sich insbesondere auf Vz vor 2013, d. h. vor Inkrafttreten der Neuregelung. Der BFH erwähnt hierbei stets, dass die Beurteilung der neuen Rechtslage bewusst offengelassen wird.[12] Dennoch lassen sich m. E. hinreichend Rückschlüsse aus dieser Rspr. im Hinblick auf die Auslegung der Begrifflichkeiten des aktuellen Gesetzes entnehmen, da der Gesetzgeber eben diese Rechtslage im Blick hatte. Zudem bestehen m. E. keine zwingenden Gründe, warum diese Begrifflichkeiten unterschiedlich ausgelegt werden sollten, da – soweit ersichtlich – der BFH trotz seines Hinweises zur nicht erforderlichen Auslegung der aktuellen Rechtslage im besonderen Maße auf die Auslegung der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten eingegangen ist.

 

Rz. 99c

Die Merkmale des Verlustes der Existenzgrundlage und die Notwendigkeit, dass der Stpfl. seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen kann, müssen allerdings – entgegen der Rspr. des BFH zur Rechtslage vor 2013 – kumulativ erfüllt sein. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, sind angefallene Prozesskosten nicht als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig. Die im Gesetz genannten Tatbestandsmerkmale sind die Konkretisierung des Grundsatzes, dass der Prozess existenziell lebenswichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt.[13]

 

Rz. 99d

Für die T...

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