Rz. 39

Sittliche Gründe können die Zwangsläufigkeit der entstandenen Aufwendungen dann begründen, wenn ein billig und gerecht denkender Mensch sich zur Leistung verpflichtet fühlen würde (Leistungszwang).[1] Teilweise wird eine gesellschaftliche Sanktion bei Unterlassen der Aufwandsübernahme gefordert (keine bloße Anstandspflicht), da eine allgemeine sittliche Pflicht zur Hilfe bei Notlagen nicht ausreichend sei.[2] Zur Beurteilung ist jedenfalls ein objektiver Maßstab zugrunde zu legen[3], bei dem zu prüfen ist, ob ein äußerer Zwang festgestellt werden kann.[4]

Nicht ausreichend sind allerdings allgemeine sittlich-moralische Beweggründe oder auf gesellschaftlichen Konventionen beruhende Anstandspflichten, Sitten oder Übungen (z. B. unentgeltliche Betreuung der Enkelkinder, freiwillige Zuwendung von Finanzmitteln an fremde Dritte aufgrund von Mittellosigkeit etc.).[5]

Im besonderen Maße betroffen sind hiervon Unterhaltsleistungen, die allerdings bereits gem. § 33a EStG zu berücksichtigen sind. Ein Abzug nach § 33 EStG scheidet entsprechend aus (Rz. 10). Darüber hinaus fallen unter sittliche Gründe typischerweise auch Beerdigungskosten[6], sofern diese nicht aus dem Nachlass bestritten werden können (Rz. 50). Eltern eines volljährigen, im eigenen Hausstand lebenden Kindes sind weder aus rechtlichen noch aus sittlichen Gründen zur Übernahme der Steuerschulden des Kindes verpflichtet.[7]

Die Beurteilung, ob sittliche Gründe für eine Zwangsläufigkeit sprechen, ist dem gesellschaftlichen Wandel von Werten unterlegen. Insoweit ist dieses Tatbestandsmerkmal durch richterliche Rechtsfortbildung auszufüllen.

Bei der Beurteilung, ob eine sittliche Verpflichtung vorliegt, ist nach h. M. ferner auf inländische Maßstäbe abzustellen.[8] Häufig wird diese Ansicht mit der Regelung des § 33a Abs. 1 S. 5 EStG begründet. Hiergegen ist jedoch einzuwenden, dass der Gesetzgeber eine solche Regelung in § 33 EStG gerade nicht vorgesehen hat, obgleich er sich der Thematik offensichtlich bewusst ist. Insoweit vermag die Begründung nicht zu überzeugen.

Nach der hier vertretenen Auffassung stellt die Regelung jedoch eine Tarifvorschrift dar, die den Grundfreibetrag in besonderen Fällen anheben soll. Bei der Konzeption des Grundfreibetrags wird der Gesetzgeber aber auch auf einen rein inländischen Maßstab abstellen. Dieser soll im Wesentlichen das Existenzminimum der in Deutschland lebenden, einer unbeschränkten Steuerpflicht unterliegenden natürlichen Personen von der Besteuerung ausnehmen. Aus systematischen und sachlogischen Gründen kann deshalb für § 33 EStG nichts anderes gelten; auch hier kommt es somit auf einen rein inländischen Maßstab an. § 33a Abs. 1 S. 5 EStG bezieht sich m. E. klarstellend auch nicht auf einen sittlichen Maßstab, sondern den rechtlichen Rahmen. Da die Vorschrift eine gesetzliche Unterhaltspflicht fordert und diese ggf. in einem ausl. Staat nach dem dort gültigen Rechtssystem bestehen könnte, soll eine derart umfangreiche Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Regelung verhindert werden.

[2] BFH v. 7.3.1975, VI R 98/72, BStBl II 1975, 629; Kanzler, in H/H/R, EStG/KStG, § 33 EStG Rn. 190; kritisch hierzu Arndt, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 EStG Rn. C 8.
[4] BFH v. 12.12.2002, III R 25/01, BFH/NV 2003, 558, BStBl II 2003, 299, Haufe-Index 906390.
[5] FG Münster v. 1.3.2021, 9 K 1651/18 E, Haufe-Index 14441115, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, AZ beim BFH IX B 21/21; Intemann, NZA 2022, 176.
[8] Nacke, in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 33 EStG Rn. 162; a. A. hingegen Arndt, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 EStG Rn. C 7.

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