Rz. 53

Eine weitere Besonderheit der Abgeltungsteuer ist die Gleichbehandlung von Dividenden und Zinserträgen. Diese unterwirft der Gesetzgeber gleichermaßen dem besonderen Proportionaltarif i. H. v. 25 % nach § 32d Abs. 1 S. 1 EStG, obwohl Dividenden bei der ausschüttenden Kapitalgesellschaft im Regelfall mit KSt vorbelastet sind, während Zinserträge beim Schuldner der Zinszahlungen in aller Regel keiner vergleichbaren Vorbelastung unterliegen.

 

Rz. 54

Es stellt sich daher die Frage, ob diese Gleichbehandlung von Dividenden und Zinserträgen einen Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit darstellt. Ein solcher Verstoß wäre zu bejahen, wenn die körperschaftsteuerliche Vorbelastung der Dividenden bei der Besteuerung des Anteilseigners unter Leistungsfähigkeitsgesichtspunkten zu berücksichtigen wäre. Betrachtet man das Verhältnis von Anteilseigner und Kapitalgesellschaft aus einem wirtschaftlichen Blickwinkel, dann erscheint es in der Tat geboten, die Vorbelastung der Dividenden mit KSt bei der Besteuerung des Anteilseigners in Rechnung zu stellen. Denn aus der Sicht des Anteilseigners handelt es sich bei einer Kapitalgesellschaft lediglich um ein besonderes Instrument zur Erzielung von Einkünften. Sämtliche von der Kapitalgesellschaft erzielten Gewinne werden früher oder später auf den Anteilseigner übertragen. Dann können die von der Kapitalgesellschaft erzielten Gewinne beim Anteilseigner aber keine Leistungsfähigkeit begründen, die nicht auch schon bei der Kapitalgesellschaft bestanden hätte. Der bereits bei der Kapitalgesellschaft erfolgte steuerliche Zugriff auf diese Leistungsfähigkeit ist bei der Besteuerung des Anteilseigners bei wirtschaftlicher Betrachtung daher zu berücksichtigen.[1]

 

Rz. 55

Zu einem anderen Ergebnis gelangt man indes, wenn man die Beziehungen von Anteilseigner und Kapitalgesellschaft aus zivilrechtlichem Blickwinkel betrachtet. Aus der Sicht des Zivilrechts handelt es sich bei einer Kapitalgesellschaft um ein rechtlich eigenständiges Gebilde, das als juristische Person losgelöst von dem hinter ihr stehenden Anteilseigner existiert. Zivilrechtlich ist die Vermögenssphäre der Kapitalgesellschaft von der Vermögenssphäre des Anteilseigners strikt getrennt, was für den Anteilseigner insbesondere haftungsrechtlich große Vorteile bringt. Diese Abschirmung der Vermögenssphäre der Kapitalgesellschaft von der Vermögenssphäre des Anteilseigners bewirkt, dass in der Vermögenssphäre der Kapitalgesellschaft eine eigenständige und objektive Leistungsfähigkeit entsteht, die sich von der individuellen und subjektiven Leistungsfähigkeit des hinter der Kapitalgesellschaft stehenden Anteilseigners unterscheidet. Legt man diese zivilrechtliche Betrachtung zugrunde, ist der bereits bei der Kapitalgesellschaft erfolgte steuerliche Zugriff auf diese Leistungsfähigkeit bei der Besteuerung des Anteilseigners nicht in Rechnung zu stellen.[2] In der Gleichbehandlung von Dividenden und Zinserträgen durch Anwendung desselben Steuertarifs ist danach kein Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu erblicken.[3]

 

Rz. 56

Allerdings verstößt der Gesetzgeber gegen den im Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verankerten Grundsatz der folgerichtigen Ausgestaltung einer einmal getroffenen – leistungsfähigkeitskonformen – Belastungsentscheidung, wenn er bei Dividenden, die im Betriebsvermögen anfallen, die Vorbelastung mit KSt, wie im derzeit geltenden Recht, durch ein Teileinkünfteverfahren pauschalierend berücksichtigt, bei im Privatvermögen anfallenden Dividenden aber, wie gerade gezeigt, völlig unberücksichtigt lässt. Zwar können Durchbrechungen des Grundsatzes der Folgerichtigkeit bei Vorliegen besonderer sachlicher Gründe gerechtfertigt werden. Eine solche Rechtfertigung ist für die Ungleichbehandlung betrieblicher und privater Dividenden indes nicht ersichtlich. Insbesondere die Tatsache, dass auf im Betriebsvermögen anfallende Dividenden der normale ESt-Tarif zur Anwendung kommt, während im Privatvermögen erzielte Dividenden dem besonderen Abgeltungsteuertarif unterliegen, lässt sich nicht als Rechtfertigung für den dargelegten Verstoß gegen den Grundsatz der folgerichtigen Ausgestaltung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen anführen. Zwar führt die Anwendung des normalen ESt-Tarifs i. V. m. dem Teileinkünfteverfahren bei betrieblichen Dividenden zu einer Gesamtsteuerbelastung von maximal 27 % ([100 × 0,60] × 0,45 = 27), während die Gesamtsteuerbelastung privater Dividenden bei maximal 25 % liegt (100 × 0,25 = 25). Den danach im Regelfall nur geringfügigen Belastungsunterschied von im Betriebsvermögen und im Privatvermögen anfallenden Dividenden könnte man von Verfassungs wegen noch hinnehmen. Indes beabsichtigte der Gesetzgeber mit der Einführung des Sondertarifs für die Einkünfte aus Kapitalvermögen keine pauschalierende Kompensation der Vorbelastung privater Dividenden mit KSt. Vielmehr dient die Senkung des Steuertari...

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