Rz. 172

Abs. 4 S. 2 definiert den Verlust der wirtschaftlichen Identität nicht abschließend, sondern beschreibt, wie das Wort "insbesondere" zeigt, nur die wichtigsten Fälle. Es sind auch andere Fallgruppen möglich; diese müssen aber den in Abs. 4 S. 2 beschriebenen Gestaltungen wertungsmäßig in wirtschaftlicher Hinsicht vergleichbar sein.[1] Das bedeutet, dass eine Fallgestaltung vorliegen muss, bei der das gleiche wirtschaftliche Ergebnis erreicht wird wie bei der Übertragung der Mehrheit der Anteile und der Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen in rechtlicher Hinsicht wird also ersetzt durch Gestaltungen, die in anderer rechtlicher Form das gleiche wirtschaftliche Ergebnis erreichen.

 

Rz. 173

Ein Verlust der wirtschaftlichen Identität kann eintreten, wenn (rechtlich) zwar keine Anteile übertragen werden, der wirtschaftliche Erfolg einer Anteilsübertragung aber durch andere Maßnahmen erreicht wird, sodass zwar nicht das rechtliche, wohl aber das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen übergeht. Es muss eine Stellung übertragen werden, die der Stellung eines mit mehr als 50 % beteiligten Anteilseigners entspricht.[2]

 

Rz. 174

Für das für den Wegfall der wirtschaftlichen Identität vor dem 6.8.1997 geltende Recht hat der BFH[3] entschieden, dass die wirtschaftliche Identität auch dann fehlen kann, wenn die Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs zeitlich vor der Veräußerung der Anteile lag. Im Urteilsfall hatte der (spätere) Erwerber jedoch bereits bei Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs eine Stellung, die der eines Anteilseigners nahe kam. Er hatte dem Gesellschafter ein Darlehen in Höhe des späteren Kaufpreises für die (restlichen) Anteile gewährt, das dann beim Kauf mit der Kaufpreisforderung verrechnet wurde; seine Stellung als Inhaber von 10 % der Beteiligung war durch die Einführung der Einstimmigkeit bei Gesellschafterbeschlüssen gestärkt worden, und er hatte offensichtlich, ohne dass er formal Geschäftsführer war, wesentlichen Einfluss auf die Neugestaltung des Geschäftsbetriebs der Kapitalgesellschaft. Als für den BFH maßgebend kam hinzu, dass die Kapitalgesellschaft überschuldet war und keinen wirtschaftlichen Wert besaß; wenn der Erwerber trotzdem einen erheblichen Kaufpreis für die Anteile bezahlte, konnte dies nur auf den vorhandenen Verlustvortrag zurückzuführen sein; der Käufer verhielt sich "wie ein typischer Mantelkäufer".

 

Rz. 175

Der Verlust der wirtschaftlichen Identität tritt auch ein, wenn keine Anteile erworben werden, sondern eine stille Gesellschaft gegründet wird und der Stille Stimmrechte erhält, sodass die Gründung der stillen Gesellschaft wirtschaftlich der Übertragung von mehr als 50 % der Anteile gleichkommt.[4] Denkbar sind "sonstige Fälle" auch beim Erwerb eigener Anteile durch die Kapitalgesellschaft.[5]

 

Rz. 176

Allein daraus, dass der Erwerber Geschäftsführer der Kapitalgesellschaft wird und aufgrund seiner Beteiligung Entscheidungen blockieren kann, folgt nicht der Verlust der wirtschaftlichen Identität. Dazu wäre die Möglichkeit erforderlich, Entscheidungen mit seinen Stimmrechten durchzusetzen; Minderheitenrechte, die zu einem Vetorecht führen, sind dem nicht gleichzustellen.[6] Andererseits kann eine Situation, in der der Erwerber mit weniger als 51 % der Stimmrechte seinen Willen in der Gesellschaft durchsetzen kann (z. B. durch Stimmbindungsverträge), einem Erwerb von mehr als 50 % der Anteile wirtschaftlich gleichwertig sein.

 

Rz. 177

Kontrovers beurteilt wird die Frage, ob unter einer schädlichen Übertragung nur der Übergang bestehender Anteile oder auch der Erwerb neuer Anteile zu verstehen ist, durch die bisher nicht beteiligte Personen eine mehr als 75 %ige bzw. 50 %ige Beteiligung am Nennkapital erlangen, insbesondere durch

  • eine Kapitalerhöhung mit Einzahlung in die Verlustgesellschaft,
  • die Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder einer Beteiligung in die Verlustgesellschaft oder
  • die Verschmelzung einer anderen Kapitalgesellschaft auf die Verlustgesellschaft.
 

Rz. 178

Das BMF[7] bejaht auch für diese Fälle eine schädliche Übertragung i. S. d. § 8 Abs. 4 KStG.[8] Dies hat der BFH[9] bestätigt, nachdem er zuvor[10] noch Zweifel daran geäußert hatte. Es liegt ein der Übertragung von (bestehenden) Anteilen vergleichbarer Sachverhalt vor.

 

Rz. 179

M. E. entspricht es sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift, in vorstehenden Fällen eine schädliche Übertragung anzunehmen, vorausgesetzt, dass aufgrund der Kapitalerhöhung, Verschmelzung oder Einbringung Anteile i. H. v. mehr als 75 % bzw. 50 % des Nennkapitals von Anteilseignern erworben worden sind, die bisher nicht oder nicht in dieser Höhe beteiligt waren, weil unter Berücksichtigung des mit der Vorschrift verbundenen Durchgriffs der Verlust der Kapitalgesellschaft zu mehr als 75 % bzw. 50 % von Personen wirtschaftlich genutzt wird, die im Zeitpunkt der Verlustentstehung nicht in dieser Höhe an der Gesellschaft beteiligt waren. Hieraus ergibt sich aber auch, da...

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