Rz. 1

Die höchstrichterliche Rspr. hat den Verlustabzug jahrzehntelang in der "Mantelrechtsprechung" nicht nur von der rechtlichen, sondern auch von der wirtschaftlichen Identität zwischen dem den Verlust erzielenden und dem den Verlustabzug beanspruchenden Rechtsgebilde abhängig gemacht und ihn in Fällen des Mantelkaufs mit der Begründung abgelehnt, die wirtschaftliche Identität sei nicht gewahrt.[1] Ein schädlicher Mantelkauf wurde angenommen, wenn

  • die Anteile an einer Kapitalgesellschaft von den bisherigen Anteilseignern auf neue Anteilseigner übertragen wurden,
  • die Gesellschaft, deren Anteile veräußert wurden, liquidations- oder löschungsreif war und
  • die neuen Anteilseigner die löschungsreife Kapitalgesellschaft durch Zuführung neuer Mittel zu neuem wirtschaftlichen Leben erweckten.
 

Rz. 2

Mit Urteil v. 29.10.1986[2] hat der BFH entschieden, dass die Geltendmachung des Verlustabzugs entsprechend der zivilrechtlichen Gestaltung nur von der rechtlichen, nicht dagegen von der wirtschaftlichen Identität abhängig sei, und den Verlustabzug auch in den Fällen des Mantelkaufs ermöglicht.

 

Rz. 3

Durch Gesetz v. 25.7.1988[3] wurde Abs. 4 eingefügt, der den Verlustausgleich und den Verlustabzug in den Fällen des Mantelkaufs ausschließt.[4] Durch Gesetz v. 14.8.2007[5] wurde § 8 Abs. 4 KStG aufgehoben und durch § 8c KStG ersetzt.[6]

 

Rz. 4

Über § 10a S. 4 GewStG war § 8 Abs. 4 KStG entsprechend im GewSt-Recht anwendbar; dieses knüpft nun über § 10a S. 8 GewStG an § 8c KStG an.

 

Rz. 5

Der Charakter der Vorschrift ist nicht geklärt. Es kann sich um eine spezielle Ausprägung des § 42 AO handeln[7], wodurch § 8 Abs. 4 KStG den Charakter einer Ausnahmevorschrift erhielte, die den grundsätzlich zulässigen Verlustabzug einschränkt. Es lässt sich jedoch, insbesondere angesichts des Wortlauts des § 8 Abs. 4 KStG, auch die Ansicht vertreten, dass es sich um ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal für den Verlustabzug handelt. In diesem Fall würde nicht ein zulässiger Verlustabzug aufgrund von Missbrauchserwägungen eingeschränkt, sondern der Verlust wäre bei Fehlen der wirtschaftlichen Identität schon dem Grunde nach nicht abziehbar.

 

Rz. 6

Zweifellos ist § 8 Abs. 4 KStG auf Gestaltungen zurückzuführen, die der Gesetzgeber als missbräuchlich angesehen hat. Dieser äußere Anlass des § 8 Abs. 4 KStG sagt aber noch nichts über den Charakter der Vorschrift aus. M. E. handelt es sich um ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal für den Verlustabzug, das vorliegen muss, um den Verlust abziehbar zu machen. Die "wirtschaftliche Identität" im KSt-Recht würde dann mit der "Unternehmensidentität" im GewSt-Recht korrespondieren und insoweit einen objektsteuerartigen Charakter tragen. Im KSt-Recht genügt es daher nicht, dass der Stpfl. identisch ist (Unternehmeridentität); es muss vielmehr hinzukommen, dass das sachliche Substrat, in dem er den Verlust erlitten hat ("Geschäftsbetrieb" in § 8 Abs. 4 KStG; "Unternehmen" im GewSt-Recht), identisch ist.[8] Rechtfertigen lässt sich das Merkmal der wirtschaftlichen Identität aus dem Gedanken, dass sogar die rechtliche Identität der Körperschaft nicht unabhängig von ihrem Vermögen ist. Wie das Institut der Zwangslöschung wegen Vermögenslosigkeit[9] zeigt, ist die Körperschaft vom Bestand ihres Vermögens nicht unabhängig. Dann ist das Anknüpfen an das Merkmal der wirtschaftlichen Identität, also an eine Situation, in der die Körperschaft den überwiegenden Teil des sachlichen Substrats ihrer Existenz ausgewechselt hat, jedenfalls nicht sachwidrig. Diese Identität des sachlichen Substrats ("Geschäftsbetrieb") wird insbesondere durch wesentlichen Austausch des Betriebsvermögens ausgeschlossen mit der Folge, dass der Verlustabzug entfällt.

 

Rz. 7

Auch der BFH[10] sieht Abs. 4 nicht als Missbrauchsverhinderungsvorschrift. Er betont, dass die Motive für die Übertragung der Anteile und die Zuführung neuen Betriebsvermögens nicht maßgeblich sind. Wäre Abs. 4 eine Missbrauchsvorschrift, könnte von den Motiven (den mit der Maßnahme verfolgten Zwecken) nicht abstrahiert werden.

 

Rz. 8

Wird das Merkmal der wirtschaftlichen Identität nicht als Missbrauchsregel, sondern als zusätzliches Tatbestandsmerkmal für den Verlustabzug aufgefasst, hat dies folgende Konsequenzen:

  • Bei der Auslegung des § 8 Abs. 4 KStG, insbesondere außerhalb des Bereichs des Regelbeispiels in S. 2, kommt es nicht darauf an, ob die Gestaltung als missbräuchlich anzusehen ist oder Missbrauchsabsicht besteht. Maßgebend ist allein, ob die wirtschaftliche Identität verloren gegangen ist.
  • Da der Stpfl. das Vorliegen der für ihn günstigen Tatbestandsmerkmale beweisen muss, trifft ihn die objektive Beweislast, dass die den Verlust abziehende Körperschaft mit der Körperschaft, die den Verlust erlitten hat, wirtschaftlich identisch ist. Wäre § 8 Abs. 4 KStG eine Missbrauchsvorschrift, könnte er dahin ausgelegt werden, dass die Finanzbehörde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung dieser Ausnahmevorschrift zur grundsätzlichen Abziehbarkeit der Verluste zu beweisen...

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