Rz. 38

Zum sachlichen Anwendungsbereich des Anrechnungsverfahrens nach § 27 Abs. 1 gehören alle Gewinnausschüttungen von Anrechnungskörperschaften. Darunter fallen

  • alle offenen Gewinnausschüttungen, die auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss beruhen, einschließlich der Vorabausschüttungen (vgl. § 8 Rz. 109ff.),
  • offene Gewinnausschüttungen, die auf einem nicht den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss beruhen (verunglückte offene Gewinnausschüttungen, vgl. § 8 Rz. 111),
  • verdeckte Gewinnausschüttungen (vgl. Anh. vGA zu § 8, Rz. 46ff.).

Bei offenen Gewinnausschüttungen ist es für § 27 Abs. 1 ohne Bedeutung, ob sie für das laufende Wirtschaftsjahr, das vorangehende Wirtschaftsjahr oder ein noch weiter zurückliegendes Wirtschaftsjahr erbracht werden.

 

Rz. 39

Zu den Gewinnausschüttungen, die auf einem ordnungsgemäßen Gewinnverwendungsbeschluss beruhen, gehören auch die inkongruenten (disproportionalen, disquotalen) Gewinnausschüttungen. Bei diesen Gewinnausschüttungen werden auf Grund des Gewinnverwendungsbeschlusses die Gewinne an die einzelnen Gesellschafter nicht entsprechend der Beteiligungsquote ausgeschüttet; vielmehr erhalten einzelne Gesellschafter einen höheren Anteil an dem Gewinn, als es ihrer Beteiligung entsprechen würde, andere Gesellschafter erhalten entsprechend einen geringeren Anteil. Im Extremfall erhält nur ein von mehreren Gesellschaftern den ganzen Gewinn. Diese inkongruenten Gewinnausschüttungen nehmen entsprechend dem Gewinnverwendungsbeschluss am Anrechnungsverfahren teil. Der Gesellschafter, der die inkongruente Gewinnausschüttung erhalten hat, hat sie nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG als Einnahme zu erfassen; er erhält 3/7 der inkongruenten Gewinnausschüttung als Anrechnungsguthaben.

Der BFH (v. 19.8.1999, I R 77/96, BFH/NV 2000, 112; ebenso: FG Köln v. 19.6.1996, 13 K 739/94, EFG 1997, 291) leitet die steuerliche Zulässigkeit der inkongruenten Gewinnausschüttung aus der gesellschaftsrechtlichen Zulässigkeit ab. Handelsrechtlich können die Anteilsinhaber einer Kapitalgesellschaft eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Gewinnausschüttung vereinbaren; diese Vereinbarung ist steuerrechtlich auch dann nicht wegen Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO unwirksam, wenn sie zur Erzielung von steuerlichen Vorteilen, z. B. zur Ausnutzung von Verlustvorträgen erfolgt. Der BFH folgert dies auch daraus, das eine verdeckte Gewinnausschüttung regelmäßig eine inkongruente Gewinnausschüttung ist; trotzdem werden für sie die steuerlichen Folgen des Anrechnungsverfahrens einschließlich der Zuordnung des Anrechnungsguthabens gezogen. Auch § 20 EStG erfordere nicht, dass der Gewinnausschüttungsanspruch beteiligungsidentisch sein müsse.

 

Rz. 40

Eine inkongruente Gewinnausschüttung ist nur dann nicht anzuerkennen, wenn besondere Grundsätze des Steuerrechts dies verbieten. So kann eine inkongruente Gewinnausschüttung auf familiäre Beziehungen zurückzuführen sein (Familien-Kapitalgesellschaft); in diesem Fall ist die Gewinnausschüttung so zu korrigieren, dass sie der jeweilige Gesellschafter im Verhältnis seiner Beteiligung erhält und im Privatbereich an den Begünstigten weiter gibt. Sind die Gesellschafter miteinander verbundene Kapitalgesellschaften, kann die Zustimmung zur inkongruenten Gewinnausschüttung auch eine verdeckte Gewinnausschüttung sein.

 

Rz. 41

Die Wirkungen eines vollzogenen Gewinnverwendungsbeschlusses werden nicht dadurch beseitigt, dass er später geändert oder aufgehoben wird. Ist die Ausschüttung durchgeführt worden, stellen die spätere Änderung oder Aufhebung des Gewinnverwendungsbeschlusses und die darauf beruhende Rückzahlung der Gewinnausschüttung an die Kapitalgesellschaft ein neues Ereignis dar, das nur Wirkungen für die Zukunft, aber keine Rückwirkung entfaltet. Die Gewinnausschüttung ist mit steuerlicher Wirkung durchgeführt, die Ausschüttungsbelastung ist daher herzustellen. Die Gewinnausschüttung wird bei dem Anteilsinhaber nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerlich erfasst, ihm steht das Anrechnungsguthaben zu. Die Rückzahlung der Gewinnausschüttung ist ein neuer Vorgang und als Einlage zu behandeln (zur abweichenden Rechtslage bei Rückzahlung einer Vorabausschüttung vgl. Rz. 42). Die tatsächliche Durchführung des Gewinnverteilungsbeschlusses durch den Abfluss kann nicht rückgängig gemacht werden; die Rückzahlung der ausgeschütteten Beträge wäre ein neuer Vorgang, der als Einlage zu behandeln wäre[1]. Das gilt für die Aufhebung eines vollzogenen Gewinnausschüttungsbeschlusses oder eines Vorabausschüttungsbeschlusses und für Rückgewähr einer verdeckten Gewinnausschüttung (vgl. Anh. vGA zu § 8, Rz. 287ff.).

Wird der Gewinnverwendungsbeschluss dagegen vor seiner Durchführung, d. h. vor der Auszahlung der Gewinnausschüttung, geändert oder aufgehoben, hat steuerlich eine Gewinnausschüttung nicht stattgefunden. Die steuerlichen Wirkungen der Gewinnausschüttung im Anrechnungsverfa...

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