Rz. 171

Das Gesetz geht über diesen bereits sehr weiten Anwendungsbereich noch hinaus. Nach Abs. 3 S. 2 gilt die Regelung über die fiktive Liquidationsbesteuerung auch, wenn die Körperschaft nur ihren Sitz oder nur ihre Geschäftsleitung aus einem EU-/EWR-Staat in einen Drittstaat verlegt. In diesem Fall bleibt ein Anknüpfungstatbestand für die unbeschränkte Steuerpflicht im Inland bzw. einem EU- oder EWR-Staat bestehen, es entsteht also eine Doppelansässigkeit mit unbeschränkter Steuerpflicht in der Bundesrepublik bzw. in einem anderen EU- bzw. EWR-Staat und zusätzlich in dem Drittstaat. Hier greift die Schlussbesteuerung des Abs. 3 ein, wenn die Körperschaft aufgrund der "tie breaker rule" des einschlägigen DBA als außerhalb der EU bzw. des EWR ansässig gilt. Ansässig ist eine Körperschaft regelmäßig dort, wo sie ihre Geschäftsleitung hat.[1] Der Fall des Abs. 3 S. 2 tritt also ein, wenn der Sitz in einem Mitgliedstaat der EU bzw. dem EWR verbleibt und die Geschäftsleitung in einen Drittstaat verlegt wird. Dann besteht die unbeschränkte Steuerpflicht im Inland bzw. in einem Staat der EU oder des EWR fort, wird aber auf die Inlandseinkünfte beschränkt und ähnelt in ihrem Umfang der beschränkten Steuerpflicht. Auch dies ist aus Sicht des Abs. 3 ein schädlicher Wegzug. Da der Tatbestand nur die Verlegung der Ansässigkeit erfasst, ist die Vorschrift nur auf DBA-Fälle anwendbar. "Ansässigkeit" ist ein Begriff des DBA-Rechts. Besteht kein DBA, gibt es zwar eine unbeschränkte oder beschränkte Steuerpflicht, aber keine Ansässigkeit. Bei Fehlen eines DBA kann eine Liquidationsbesteuerung daher nur nach dem Tatbestand des Abs. 3 S. 1, nicht aber nach dem Tatbestand des Abs. 3 S. 2 eintreten.[2]

 

Rz. 171a

Dieser Tatbestand setzt jedoch eine Verlegung von Sitz oder Geschäftsleitung voraus. Es genügt nicht, wenn die Ansässigkeit ohne eine solche Verlegung nach dem jeweiligen DBA wechselt, z. B. weil das DBA und damit die Regeln über den Ort der Ansässigkeit geändert werden oder wenn mit einem Drittstaat erstmals ein DBA abgeschlossen wird, nach dem die Ansässigkeit im Drittstaat liegt. In diesen Fällen kann zwar eine Entstrickung vorliegen, die jedoch nicht nach Abs. 3, sondern nach Abs. 1 zu beurteilen ist. Andererseits genügt die Verlegung von Geschäftsleitung und/oder Sitz für sich allein nicht für die Anwendung des Abs. 3 S. 2. Es muss hinzukommen, dass infolge der Verlegung von Geschäftsleitung bzw. Sitz auch die Ansässigkeit wechselt, d. h. die Ansässigkeit in einem Staat der EU bzw. des EWR beendet und in dem Drittstaat als Zuzugsstaat begründet wird. Voraussetzung ist auch hier, dass vor der Sitzverlegung eine Ansässigkeit in einem Staat der EU bzw. des EWR begründet war. Hat vor der Sitzverlegung keine solche Ansässigkeit in einem EU- bzw. EWR-Staat bestanden, ändert sich durch die Sitzverlegung für die EU- bzw. EWR-Staaten nichts, sodass das Eingreifen der Liquidationsbesteuerung unsachgemäß wäre.

 
Praxis-Beispiel

Die A-Ltd. hat ihren Sitz in Großbritannien und ihre Geschäftsleitung in Indien. Sie unterhält in der Bundesrepublik eine Betriebsstätte. Nach den von Indien abgeschlossenen DBA ist sie aufgrund ihrer Geschäftsleitung in Indien ansässig. Sie verlegt ihre Geschäftsleitung nach Pakistan und wird damit in Pakistan ansässig.

Es kommt nicht zur Liquidationsbesteuerung in Deutschland, weil zwar die Ansässigkeit aufgrund der Verlegung der Geschäftsleitung wechselt, aber nicht aus einem EU- oder EWR-Staat wegverlegt wird. Der steuerliche Anknüpfungstatbestand der Ansässigkeit ändert sich für Deutschland und andere EU- und EWR-Staaten nicht. Die A-Ltd. war vor der Verlegung der Geschäftsleitung nicht in einem EU- oder EWR-Staat ansässig und ist es auch danach nicht.

 

Rz. 171b

Ein besonderes Problem entsteht in diesem Zusammenhang, wenn das DBA die Ansässigkeit bei Geschäftsleitung in dem einen Staat und Sitz in dem anderen Staat nicht nach der tatsächlichen Geschäftsleitung bestimmt, sondern dies einer Verständigung der Vertragsparteien überlässt.[3] Wird nur die Vereinbarung über die Ansässigkeit geändert, ist Abs. 3 S. 2 nicht anwendbar, da die Änderung der Ansässigkeit auf der geänderten Vereinbarung der beteiligten Finanzbehörden beruht, nicht, wie es Abs. 3 S. 2 verlangt, auf der Verlegung von Sitz oder Geschäftsleitung. Problematisch kann aber der Fall sein, dass die beteiligten Finanzbehörden ihre Vereinbarung ändern oder sie erstmals abschließen, weil die Körperschaft Sitz oder Geschäftsleitung in einen Drittstaat verlegt hat. Dann beruht der Wechsel der Ansässigkeit auf 2 Faktoren, nämlich der Verlegung der Geschäftsleitung in den anderen Staat und der Verständigung der Vertragsparteien, dass die Gesellschaft in dem anderen Staat ansässig sein soll. Abs. 3 S. 2 setzt voraus, dass die Ansässigkeit infolge der Verlegung von Geschäftsleitung bzw. Sitz wechselt, nicht aber, dass sie sich aufgrund einer Verständigungsvereinbarung ändert. Zwar wäre es ohne die Verlegung von Sitz bzw. Geschäftsleitung nicht zu de...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge