Rz. 47

Rechtsfolge des Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts ist, dass eine fiktive Veräußerung des Wirtschaftsguts angenommen wird. Dadurch werden die in dem jeweiligen Wirtschaftsgut enthaltenen stillen Reserven aufgedeckt. Entsprechend der Ausgestaltung des § 12 KStG als Ersatzrealisationstatbestand erfolgt der Gewinnausweis innerhalb der Steuerbilanz.[1]

Als (fiktiven) Veräußerungspreis bestimmt das Gesetz den gemeinen Wert. Der Ansatz mit dem gemeinen Wert, also nach § 9 Abs. 2 BewG mit dem im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts zu erzielenden Preis, bedeutet, dass auch der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielende Gewinn anzusetzen ist. Die Definition des gemeinen Werts in § 9 Abs. 2 BewG entspricht in der Sache der europarechtlichen Vorgabe in Art. 5 Abs. 6 ATAD, wonach für Zwecke des Art. 5 der Marktwert derjenige Betrag ist, für den zwischen vertragswilligen unabhängigen Käufern und Verkäufern in einer direkten Transaktion Vermögenswerte ausgetauscht oder gegenseitige Verpflichtungen abgerechnet werden können.

Gegenüber dem Teilwert dürften sich bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens nur geringe Abweichungen ergeben. Die eigentliche Bedeutung des Ansatzes des gemeinen Werts liegt bei den Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens. Bei Waren enthält der Teilwert den Gewinnaufschlag nicht, da als Teilwert die Wiederbeschaffungskosten bzw. die Wiederherstellungskosten gelten. Dagegen wird der gemeine Wert durch den Weiterveräußerungspreis gebildet, enthält also auch den marktüblichen Gewinnaufschlag. Daher sind Waren mit einem Produktionsgewinnaufschlag anzusetzen. Der Ansatz mit dem gemeinen Wert führt bei der Überführung von Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens dazu, dass die Bundesrepublik auch die Besteuerung des Produktionsgewinns für sich in Anspruch nimmt.[2] Insoweit ist jedoch zu beachten, dass tatbestandlicher Bezugspunkt der "Gewinn aus der Veräußerung (eines) Wirtschaftsguts" ist. Nur darauf kommt es an. Bezugspunkt ist nicht, ob der Gewinn hinsichtlich der im Inland entstandenen stillen Reserven (wie bsp. eines sog. Produktionsgewinns) ausgeschlossen oder beschränkt ist.

Der gemeine Wert des Umlaufvermögens wird also so bestimmt, als würde die inländische Betriebsstätte das Wirtschaftsgut im gewöhnlichen Geschäftsverkehr an eine Dritte Person im Ausland veräußern. Dabei würde es – selbstverständlich – für die im Inland erbrachten Leistungen einen Gewinnzuschlag einkalkulieren.

Ein möglicherweise nach der Überführung im Ausland entstehender Gewinn (bspw. ein sog. Liefergewinn/Vertriebsgewinn) unterliegt nicht der Entstrickungsbesteuerung. Einen solchen Gewinnanteil würde der Erwerber (also die ausländische Betriebsstätte) in einer gedachten Transaktion dem Veräußerer (der inländischen Betriebsstätte) nicht überlassen, da die Transaktion für den Erwerber ansonsten wirtschaftlich sinnlos wäre.

 

Rz. 48

Da es sich um eine fiktive Veräußerung handelt, ist § 6 Abs. 5 EStG nicht anzuwenden. Diese Vorschrift gilt nicht für Veräußerungen, auch nicht für fiktive Veräußerungen. Im Übrigen dürfte auch schon deshalb keine Kollision des § 6 Abs. 5 EStG mit § 12 Abs. 1 KStG vorliegen, weil § 6 Abs. 5 EStG mit dem Buchwertansatz nur gilt, wenn die Versteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. Das ist in den von § 12 Abs. 1 KStG erfassten Fällen aber gerade nicht gegeben. Ein Konkurrenzverhältnis kann sich daher regelm. nicht ergeben.[3]

 

Rz. 49

Das Gesetz enthält weiterhin keine ausdrückliche Regelung zur bilanziellen Behandlung des Wirtschaftsguts bei der aufnehmenden ausländischen Betriebsstätte. Aus deutscher Sicht, d. h. für die (inländische) steuerliche Betriebsstättenbuchführung, muss eine Anschaffung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert (= Entstrickungswert) angenommen werden. Dies ergibt sich zum einen aus der durch die Norm fingierten Ersatzrealisation, der spiegelbildlich eine fingierte Anschaffung zu dem Ersatzrealisationswert gegenüber steht. Diese Behandlung entspricht auch dem Rechtsgedanken aus Art. 5 Abs. 5 ATAD und des § 12 Abs. 1 S. 3 KStG.

Das hat bei einer Betriebsstätte mit Anrechnungsmethode Bedeutung für die Ermittlung des im Inland zu erfassenden Gewinns. In den EU-Staaten ist nach Art. 5 Abs. 5 ATAD der bei der deutschen Entstrickungsbesteuerung angesetzte Wert (höchstens der Marktwert) ebenfalls der ausländischen Besteuerung zugrunde zu legen. Findet die ATAD-Richtline keine Anwendung (also in Nicht-EU-Staaten) und geht der aufnehmende Staat auch nicht von einem "Anschaffungswert" mit dem bei der Entstrickung zugrunde gelegten Wert aus, kann durch die höhere Abschreibung im Rahmen der deutschen Betriebsstättenbuchführung ein niedrigerer im Inland zu erfassender Gewinn entstehen, als der ausländischen Besteuerung zugrunde gelegt wird. Daraus können sich Anrechnungsüberhänge der ausländischen Steuer ergeben.

Bei Anwendung der Freistellung...

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