Rz. 303

[Autor/Stand] Frage der Qualifizierung der nachträglichen Erteilung einer Freistellungsbescheinigung als rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Es erscheint fraglich, ob eine nachträglich erteilte Bescheinigung ein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO im Hinblick auf eine vorangegangene Steueranmeldung oder (Entrichtungs-)Steuerfestsetzung darstellt. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).

 

Rz. 304

[Autor/Stand] Meinungsstand im Schrifttum. Im Schrifttum ist umstritten, ob der Freistellungsbescheinigung i.S.d. § 50d Abs. 2 Satz 1 eine solche Wirkung zukommt. Nach der einen Auffassung[3] ist eine solche Rückwirkung abzulehnen. Zur Begründung wird angeführt, dass der Wortlaut des Gesetzes hierfür keine Anhaltspunkte biete. Deshalb trete die Befreiung des Vergütungsschuldners von der Einbehaltungs- und Abführungspflicht erst für die Zeit von der Bescheinigung an (ex nunc) ein. Bei Endgültigkeit und Bestandskraft des der Abführung zugrunde liegenden Bescheids besteht hiernach folglich keine Grundlage für dessen Änderung, so dass in dieser Situation die Freistellungsbescheinigung ins Leere geht. Eine andere Auffassung[4] hingegen befürwortet die Qualifizierung einer nachträglich erteilten Freistellungsbescheinigung als rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Er stellt dabei auf die strikte dogmatische Unterscheidung zwischen Freistellungsbescheid und Freistellungsbescheinigung ab, die nur dann Sinn mache, wenn sie auch bei nachträglicher Erteilung der Bescheinigung greife.

 

Rz. 305

[Autor/Stand] Keine klare Rechtsprechung. Klare Rechtsprechung zu der Streitfrage existiert – soweit ersichtlich – nicht. In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung wurden lediglich Zweifel daran geäußert, ob angesichts des Vereinfachungszwecks des Steuerabzugsverfahrens die Erteilung und Vorlage einer Freistellungsbescheinigung Rückwirkung i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO entfaltet.[6] Dagegen spreche die Regelung des § 50d Abs. 2 Satz 5 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 20.12.2001.[7] Höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage liegt – soweit ersichtlich – nicht vor. Es ist unwahrscheinlich, dass sie noch ergehen wird. Denn durch die zwischenzeitliche Einführung von § 175 Abs. 2 Satz 2 AO hat die Streitfrage keinerlei praktische Bedeutung mehr.

[Autor/Stand] Autor: Bozza, Stand: 01.06.2019
[Autor/Stand] Autor: Bozza, Stand: 01.06.2019
[3] Buciek, IStR 2001, 102 (104).
[4] Gosch, BFH-PR 2001, 51 (52) zur früheren Rechtslage; zur aktuellen Rechtslage wohl daran nicht mehr festhaltend, vgl. Gosch in Kirchhof18, § 50d EStG Rz. 19.
[Autor/Stand] Autor: Bozza, Stand: 01.06.2019
[6] Vgl. hierzu auch FG Nds. v. 30.4.2015 – 6 K 209/14, EFG 2015, 1900 m. Anm. Bozza-Bodden.

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