Leitsatz

Ist eine Prozessvollmacht im Innenverhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten gekündigt worden, so kann der Klägerin ein etwaiges nachfolgendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht zugerechnet werden, auch wenn das Erlöschen der Prozessvollmacht dem Gericht noch nicht mitgeteilt worden ist.

 

Normenkette

§ 54 Abs. 2 FGO , § 56 FGO , § 155 FGO , § 85 Abs. 2 ZPO

 

Sachverhalt

Die Klägerin hatte durch einen Prozessbevollmächtigten Klage erheben lassen. Auf die am 16.2.2000 zugestellte Verfügung des Gerichts, bis 28.2.2000 eine Vollmacht vorzulegen, reagierte der Prozessbevollmächtigte nicht.

Erst nach Ablauf der Frist meldete sich die Klägerin mittels eines neuen Prozessbevollmächtigten und trug vor, das Mandatsverhältnis zu dem früheren Prozessbevollmächtigten sei bereits im Dezember 1999 gekündigt worden. Erst Ende Januar 2000 habe der frühere Prozessbevollmächtigte jedoch dem jetzigen Bevollmächtigten Kopien der Prozessunterlagen übersandt und erklärt, dass er das FG über den Widerruf der Vollmacht informieren werde. Über die Fristsetzung habe er weder die Klägerin noch deren neuen Bevollmächtigten informiert.

Die Klägerin beantrage Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie sei ohne Verschulden verhindert gewesen, die Ausschlussfrist einzuhalten. Ein etwaiges Verschulden ihres früheren Prozessbevollmächtigten sei ihr nicht zuzurechnen. Sie habe von der gesetzten Ausschlussfrist erst durch die am 31.3.2000 genommene Akteneinsicht erfahren.

 

Entscheidung

Der BFH ist der Argumentation der Klägerin gefolgt und hat das klageabweisende Urteil des FG aufgehoben. Er schließt sich damit der Rechtsprechung des BGH (vgl. schon BGHZ 2, 205), aber auch des BVerwG und BSG an, dass für eine Verschuldenszurechnung nach § 85 Abs. 2 ZPO kein Raum mehr ist, wenn der Vollmachtsvertrag im Zeitpunkt der Fristsetzung gekündigt ist, und zwar ungeachtet dessen, dass im Außenverhältnis die Prozessvollmacht fortgilt, bis gegenüber dem Gericht ihr Widerruf angezeigt worden ist (§ 155 FGO i.V.m. § 87 Abs. 1 ZPO).

Der BFH rechnet der Klägerin auch nicht als eigenes Verschulden an, dass sie sich bei Mandatskündigung nicht selbst nach eventuell noch laufenden Fristen erkundigt hat (darüber zu informieren sei vielmehr Sorgfaltspflicht des ehemaligen Prozessbevollmächtigten, auf dessen Erfüllung die Klägerin vertrauen durfte (vgl. BGH in NJW 1980, 999), noch dass die Klägerin dem FG den Widerruf der Vollmacht nicht unverzüglich angezeigt hat (zu einer solchen Anzeige sei sie nicht verpflichtet, weil Zustellungen weiterhin an ihren bisherigen Prozessbevollmächtigten erfolgen konnten).

Die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag lässt der BFH – folgerichtig – erst mit dem Zeitpunkt der Akteneinsicht der neuen Bevollmächtigten beginnen.

 

Hinweis

Wenn ein Prozessbevollmächtigter bestellt ist, sind Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts zwingend an diesen zu richten (§ 62 Abs. 3 Satz 5 FGO). Beachten Sie, dass die Rechtslage im Verwaltungsverfahren wesentlich komplizierter ist (vgl. BFH, Urteil vom 5.10.2000, VII R 96/99, BStBl II 2001, 86).

Unterscheiden Sie stets zwischen der Kündigung des Vollmachtsvertrags (§ 168 Satz 3 i.V.m. § 167 Abs. 1 BGB) und der Wirksamkeit der Kündigung gegenüber dem Gericht. Erst durch die Anzeige des Erlöschens der Vollmacht erlangt die Kündigung des Vollmachtsvertrags dem Gericht gegenüber rechtliche Wirksamkeit (§ 62 Abs. 3 Satz 5, § 155 FGO i.V.m. § 87 Abs. 1 ZPO).

Nach der Besprechungsentscheidung müssen Sie aber, was das Verhältnis zum Gericht angeht, weiter differenzieren zwischen der Wirksamkeit gegenüber einem Prozessbevollmächtigten vorgenommenen Verfahrenshandlungen, und der Zurechnung von Verschulden des Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Beteiligten.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 21.3.2002, VII R 7/01

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