Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld: Ermittlung eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs und Gegenüberstellung von Gesamtbedarf und Selbstunterhalt eines behinderten Kindes

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für die Frage, ob ein Kind sich selbst unterhalten kann, hat eine auf das Kalenderjahr bezogene Gegenüberstellung des Gesamtbedarfs des Kindes und seiner insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel zu erfolgen, da es sich bei dem Grenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG (im Fall eines nicht behinderten volljährigen Kindes) ebenfalls um einen Jahresbetrag handelt, der unabhängig davon, wann innerhalb eines Kalenderjahres das Kind z. B. Einkünfte bezogen hat, anzusetzen ist.

2. Ein behinderungsbedingter Mehrbedarf ist - wenn nicht höhere Aufwendungen nachgewiesen oder zumindest glaubhaft gemacht werden - mit dem jeweiligen Behinderten-Pauschbetrag gemäß § 33b Abs. 3 EStG zu berücksichtigen. Ein Nebeneinander von Pauschbetrag und höherem nachgewiesenen bzw. glaubhaft gemachtem behinderungsbedingten Mehraufwand kommt nicht in Betracht.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1-2, § 33b Abs. 3

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 24.08.2004; Aktenzeichen VIII R 59/01)

 

Tatbestand

Streitig sind die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung von Kindergeld.

Mit Bescheid der Beklagten vom 7. November 1997 war für die in 1975 geborene schwerbehinderte Tochter A des Klägers Kindergeld bis zum 30. September 2012 unter der Voraussetzung, dass das Kind aufgrund seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und sein Lebensunterhalt auch nicht durch Einkünfte und Bezüge von anderer Seite gedeckt wird, festgesetzt worden. Gemäß dem bis 2012 gültigen Schwerbehindertenausweis liegt bei A ein Grad der Behinderung von 100 % vor und es sind die Merkzeichen G, aG und H eingetragen. Im streitigen Zeitraum unterfiel sie der Pflegestufe II. (Wegen Einzelheiten zur Krankheit des Kindes wird auf das Sozialmedizinische Gutachten des ... vom 9. Oktober 1996, Bl. 63 bis 70 der Verwaltungsgerichts-Prozessakten, Az. 6 K 1623/2000 Bezug genommen). Ab Dezember 1998 bezog sie eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.261,25 DM, die ihr ab Mai 1999 ausgezahlt wurde (einschließlich der Nachzahlungen). Ab Juli 1999 betrug diese Rente 3.067,28 DM und ab Juli 2000 3.085,70 DM monatlich.

Die Tochter wohnt seit August 1999 in X in einer behindertengerecht ausgestatteten Eigentumswohnung des Klägers, an den sie Miete zahlt. Sie wird dabei von einem mobilen Pflegedienst ... betreut, der sowohl hauswirtschaftliche als auch pflegerische Leistungen erbringt. Gemäß einem Pflegeplan der Sozialstation vom 20. April 1999 wurde der Pflegebedarf wie folgt beziffert:

Zweimal täglich waschen, einmal wöchentlich duschen, einmal wöchentlich baden, dreimal täglich Zahnpflege, ein- bis zweimal täglich kämmen, mindestens dreimal täglich mundgerechtes Zubereiten einer Mahlzeit, mindestens dreimal täglich füttern, bei Bedarf an- bzw. auskleiden, mindestens dreimal wöchentlich zur Krankengymnastik / Massage / Ergotherapie, zweimal wöchentlich einkaufen, einmal täglich kochen, einmal wöchentlich Reinigung der Wohnung, einmal täglich spülen, einmal wöchentlich Kleiderwäsche, Besuchsdiente in nicht genau genanntem Umfang, durchschnittlich dreimal wöchentlich Bring- bzw. Holdienst zu Ärzten / Verwandten / Veranstaltungen etc. und Spaziergänge bzw. Behördengänge und ähnliches je nach Bedarf. (Wegen der Einzelheiten vgl. Bl. 75 bis 79 der Verwaltungsgerichts-Prozessakte). Die dafür aufzuwendenden Kosten werden dabei mit rd. 5.400,-- DM monatlich veranschlagt. Gemäß Bescheid des Sozialamtes ... vom 10. November 1999 wird A auf Antrag ab August 1999 Hilfe zur Pflege gemäß § 69 b BSHG in entsprechender Höhe gewährt. Außerdem erhielt sie von der Pflegekasse ein Pflegegeld gemäß § 37 SGB XI in Höhe von 800,-- DM monatlich bis einschließlich Juli 1999 und ab August 1990 von 1800,-- DM pro Monat.

Nachdem der Kläger der Familienkasse den Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente durch A mitgeteilt hatte, wurde unter dem 28. Juni 1999 die Kindergeldfestsetzung ab dem 1. Juli 1999 aufgehoben und Kindergeld in Höhe von 250,-- DM für den Monat Juli 1999 mit der Begründung zurückgefordert, die der Tochter monatlich zur Verfügung stehenden Geldmittel überstiegen deutlich den für die Frage, ob ein Kind sich selbst unterhalten kann, maßgeblichen monatlichen Grenzbetrag. Diesen Grenzbetrag hatte der Beklagte dabei wie folgt ermittelt: 13.020,-- DM Grundbedarf gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zuzüglich 7.200,-- DM Behinderten-Pauschbetrag gemäß § 33b Abs. 3 EStG, davon 1/12 = 1.685,-- DM.

Mit hiergegen form- und fristgerecht eingelegtem Einspruch machte der Kläger geltend, die Pflege der Tochter koste monatlich über 5.000,-- DM. Hinzu kämen, da sie Rollstuhlfahrerin sei, weitere Mehraufwendungen für eine größere Wohnung, für Aufzug und Hausmeister sowie Fahrtkosten in nicht unerheblichem Umfang. Die Grenze von 13.020,-- DM sei im übrigen nicht nachvollzi...

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