Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Kindergeld vom unionsrechtlich nachrangigem Staat bei Nichtbezug von Kindergeld vom unionsrechtlich vorrangigen Staat

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Unionsrecht sieht grundsätzlich vor, dass vom nachrangig zuständigen Staat (hier Deutschland) die Ansprüche auf Familienleistungen bis zur Höhe der vom vorrangig zuständigen Staat (hier Großbritannien) vorgesehenen Leistungen ausgesetzt werden.

2. Verfahrensrechtlich ist weiter vorgesehen, dass der nachrangige Staat bei Antragstellung bei ihm, den Antrag unverzüglich an den vorrangig zuständigen Träger zur dortigen Prüfung zuleitet und vorläufig (nur) den Unterschiedsbetrag leistet.

3. Wird dieser unionsrechtlich vorgesehene Ablauf nicht eingehalten wird, besteht im unionsrechtlich nachrangigem Staat (hier Deutschland) der volle Kindergeldanspruch. Eine Anrechnung vom unionsrechtlich vorrangigem Staat nur fiktiv beziehbaren aber tatsächlich nicht bezogenen Kindergeldes kommt dann nicht in Betracht (so auch FG Münster, Urteil vom 05.08.2016 4 K 3115/14 Kg).

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1, § 65 Abs. 1; EUVO-883/2004 Art. 1 Buchst. z, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Bucht. j, Art. 11 Abs. 3

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 22.02.2018; Aktenzeichen III R 10/17)

 

Tatbestand

Streitig ist, in welcher Höhe der Kläger Anspruch auf Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) für seine Kinder C und D im Zeitraum Januar 2013 bis November 2014 hat.

Der Kläger und seine Ehefrau sind Eltern von C (geb. 05.07.2001) und D (geb. 01.10.2003).

Er ist seit 2006 als Arzt bei der xxx in England tätig und lebt seitdem mit seiner Familie schwerpunktmäßig in England.

Aus Vermerken der Familienkasse 1 ist ersichtlich, dass nach Feststellungen der Familienkasse im Frühjahr 2012 der Kläger in 2 (BRD) gemeldet war. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt Eigentümer und Vermieter des Hauses und hielt sich vornehmlich in den Schulferien - teilweise mit seiner Familie - auch dort auf.

Laut Bescheinigung des Finanzamts 1 vom 12.04.2012 gilt er nach § 1 Abs. 3 EStG ab dem Jahr 2011 antragsgemäß als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.

Der Kläger bezog mit Zustimmung seiner Ehefrau zunächst von der Familienkasse 1 laufend Kindergeld für seine beiden Kinder in Höhe von monatlich 193,08 €. Laut Bescheid der Familienkasse 1 vom 17.04.2012 errechnete sich der Betrag ab Januar 2011 aus dem Anspruch in Deutschland (2 x 184 € für beide Kinder monatlich) unter Anrechnung des Anspruchs auf Familienleistungen in England (umgerechnet 174,92 € monatlich). Der Bescheid erging nach § 165 AO vorläufig.

Am 12.02.2013 reichte der Kläger noch bei der Familienkasse 1 eine Bescheinigung der Child Benefit Office in 3, England vom 05.12.2012 ein, aus der hervorgeht, dass dort die Auszahlung des Child Benefit ab 07. Januar 2013 eingestellt würde. Mit Schreiben vom 02.05.2013 (Eingang 07.05.2013) reichte er dann einen Kindergeldantrag für seine beiden Kinder ein und wies darauf hin, dass aufgrund einer Gesetzesänderung in England Erwerbstätige, die über ein Jahreseinkommen von über 60.000 Pfund verfügten, kein Kindergeld mehr erhielten.

Mit Wechsel der Zuständigkeit zur beklagten Familienkasse stellte die Familienkasse 1 die Zahlung des Kindergeldes ab April 2013 zunächst gänzlich ein.

Mit Schreiben vom 07.08.2013 teilte die beklagte Familienkasse dann mit, dass ab Mai 2013 weiterhin Kindergeld in der bisherigen Höhe ausgezahlt werde und wies darauf hin, dass nach ihrer Auffassung der Anspruch auf Kindergeld in England weiterhin dem Grundsatz nach bestehe. Von der Gesetzänderung betroffene Gutverdiener könnten wählen, ob sie zunächst Kindergeld beziehen würden und dann entsprechende Steuern darauf zahlen müssen oder - wie der Kläger - auf die Leistung verzichteten.

Mit Bescheid vom 28.02.2014 lehnte die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld ab Januar 2013 in voller Höhe ab, da ein Anspruch auf Kindergeld in England dem Grund nach gegeben sei.

Gegen diese Ablehnung legte der Kläger Einspruch ein und begründete diesen damit, dass er in England kein Kindergeld mehr bezöge. Nach der Gesetzesänderung in England würde in Anbetracht des Einkommens des Klägers bezogenes Kindergeld in voller Höhe zurückgezahlt werden müssen. Nur aus diesem Grund hätte der Kläger auf die Auszahlung des Child Benefit in England verzichtet. Nach Auffassung des Klägers stehe ihm daher in Deutschland das volle Kindergeld zu. Er kenne vergleichbare Konstellationen, in denen Betroffene - bei Antragstellung durch die Mutter (als Hausfrau und in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig) in Deutschland das volle Kindergeld erhielten.

Mit Einspruchsentscheidung vom 13.11.2014 hat die beklagte Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Sie führt zur Begründung aus, dass im Streitfall zwar der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen für einen Kindergeldanspruch in Deutschland nach § 62 Abs. 1 EStG erfülle. Er habe jedoch auch einen Kindergeldanspruch in Großbritannien. Diese Konkurrenzsituation sei durch die Verordnung (EG...

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