Entscheidungsstichwort (Thema)

Enteignung kein privates Veräußerungsgeschäft

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Enteignung stellt kein privates Veräußerungsgeschäft im Sinne von § 23 EStG dar.

 

Normenkette

EStG § 22 Nr. 2, § 23

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 23.07.2019; Aktenzeichen IX R 28/18)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten in materiell-rechtlicher Hinsicht über die Frage, ob die durch einen Sonderungsbescheid angeordnete Übertragung des Eigentums an einem Grundstück auf eine öffentlich-rechtliche Körperschaft (Stadt) ein privates Veräußerungsgeschäft i. S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) darstellt und demzufolge in den Jahren 2009 und 2012 (Streitjahre) ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn nach § 22 Nr. 2 EStG anzusetzen ist. Ferner ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht streitig, ob der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2009 ändern durfte.

Die Kläger sind Eheleute und werden in den Streitjahren mit Einkünften aus Gewerbebetrieb (Ehemann), Einkünften aus Kapitalvermögen (Ehemann und Ehefrau), Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (Ehemann und Ehefrau) und sonstigen Einkünften (Ehemann und Ehefrau) zusammen zu Einkommensteuer veranlagt.

Der Kläger ist beruflich als selbständiger Anlageberater tätig. Die aus dieser Tätigkeit resultierenden Einkünfte sind im vorliegenden Verfahren nicht streitbefangen. Anfang der 1990er Jahre erwarben er und ein Herr Dr. U. jeweils einen hälftigen Miteigentumsanteil an dem unbebauten Grundstück O in M-Stadt, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts M-Stadt (nachfolgend „Grundstück”). Das Grundstück sollte ursprünglich mit einem Bürogebäude bebaut und sodann vermietet werden. Dieses Vorhaben ließ sich allerdings nicht realisieren. Im Jahr 2005 geriet Herr Dr. U. in finanzielle Schwierigkeiten, woraufhin die finanzierende Bank das Grundstück zwangsversteigern ließ. Am 20.06.2005 erhielt der Kläger den Zuschlag für das Grundstück für ein Gebot in Höhe von 50.000 EUR und war fortan Alleineigentümer. Das Grundstück blieb weiterhin unbebaut.

Im Jahr 2008 führte die Stadt M-Stadt ein Bodensonderungsverfahren durch und erließ am 11.09.2008 in Bezug auf das Grundstück einen Sonderungsbescheid gegenüber dem Kläger. Als Entschädigung für den Übergang des Eigentums an dem Grundstück setzte die Stadt M-Stadt eine Entschädigung in Höhe von 470.000 EUR zu Gunsten des Klägers fest, die Anfang des Jahres 2010 auf ein Bankkonto des Klägers überwiesen wurde. Gegen den Sonderungsbescheid legte der Kläger Widerspruch ein. In dem sich anschließenden Klageverfahren einigten sich der Kläger und die Stadt M-Stadt auf eine Erhöhung der Entschädigungssumme um 130.000 EUR auf 600.000 EUR. Der Erhöhungsbetrag wurde in zwei Raten an den Kläger ausgezahlt. Im Jahr 2012 erhielt er einen Teilbetrag in Höhe von 87.000 EUR; der Restbetrag in Höhe von 43.000 EUR wurde im nicht streitbefangenen Jahr 2014 ausgezahlt.

In ihrer am 30.12.2010 beim Beklagten eingegangenen Einkommensteuererklärung für das Jahr 2009 gaben die Kläger bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (Anlage V) hinsichtlich des Grundstücks einen Werbungskostenüberschuss (Verlust) in Höhe von 18.887 EUR an. Das Grundstück war (auch) zu diesem Zeitpunkt weder bebaut noch vermietet. Der Beklagte bat deshalb mit Schreiben vom 01.02.2011 um Mitteilung, wann bei dem Grundstück mit der Erzielung von Mieteinnahmen gerechnet werden könne, woraufhin der Kläger – vertreten durch seinen damaligen Verfahrensbevollmächtigten – mit Schreiben vom 10.02.2011 ausführte, dass das Grundstück im Jahr 2010 von der Stadt M-Stadt enteignet worden sei und dagegen zur Zeit prozessiert werde.

Mit Bescheid vom 04.04.2011 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2009 aufgrund eines Verlustvortrags auf 0 EUR fest und legte dabei den von den Klägern hinsichtlich des Grundstücks angegebenen Werbungskostenüberschuss zugrunde. Die Steuerfestsetzung erfolgte nach § 165 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Abgabenordnung (AO) vorläufig. In den Erläuterungen des Bescheides wies der Beklagte darauf hin, dass sich die Vorläufigkeit bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auf das Objekt Grundstück O in M-Stadt beziehe, weil hier die zukünftige Einnahmeerzielungsabsicht noch nicht ersichtlich sei. Ferner wurde darum gebeten, im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2010 die entsprechenden Unterlagen (Gerichtsunterlagen, etc.) vorzulegen und den Sachstand zu erläutern.

Gegen den vorstehend genannten Bescheid legten die Kläger mit Schreiben vom 21.04.2011 wegen hier nicht streitbefangener Punkte Einspruch ein. Der Beklagte berücksichtigte die Einwendungen und erließ daraufhin am 29.07.2011 unter Aufrechterhaltung des Vorläufigkeitsvermerks einen Änderungsbescheid, gegen den die Kläger mit Schreiben vom 30.08.2011 einen weiteren Einspruch einlegten. Zur Begründung führten sie an, dass ein zusätzlicher Verlust nach § 17 EStG anzusetzen sei. Am 12.12.2012 erließ der Beklagte einen weiteren, mit derselben Vorläufigkeit versehenen Änderungsbesch...

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