Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruchsausschluss, wenn das Kind bei einem anderen Berechtigten im EU-Ausland lebt

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein in Deutschland lebender Steuerpflichtiger hat Anspruch auf Kindergeld für sein in Polen beim Großvater lebendes und dort ohne eigene Einkünfte und Bezüge studierendes Kind.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 64 Abs. 2 S. 1, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; VO (EG) 883/204 Art. 67 S. 1; DVO (EG) 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 23.08.2016; Aktenzeichen V R 29/13)

BFH (Urteil vom 23.08.2016; Aktenzeichen V R 29/13)

 

Tatbestand

Der Kläger (Kl) ist polnischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz im Inland (R). Er ist seit Juli 2008 bei der A GmbH nichtselbständig, sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Der Kl bezog für seine Tochter Y (Y), geboren am 09. April 1990, Kindergeld. Y lebte im Streitzeitraum in Polen bei ihrem Großvater und studiert dort ohne eigenes Einkommen oder eigene Bezüge. Der Kl ist von der Kindesmutter seit Februar 2010 geschieden.

Mit Bescheid vom 06. Mai 2011 hob die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld mit der Begründung auf, Y lebe im Haushalt der Kindesmutter in Polen, die vorrangig berechtigt sei.

Der dagegen gerichtete Einspruch war erfolglos.

Mit seiner dagegen gerichteten Klage macht der Kl geltend, dass dem Großvater im Polen kein Kindergeld gezahlt werde.

Der Kl beantragt sinngemäß,

den Aufhebungsbescheid vom 06. Mai 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Juni 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach der Durchführungsanweisung zum über- und zwischenstaatlichen Recht sei das Kindergeld an denjenigen Elternteil zu zahlen, der gemäß § 64 Einkommensteuergesetz (EStG) der Kindergeldberechtigte sei. Dies könne auch ein Großelternteil sein (§ 63 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Sei dieser der Kindergeldberechtigte, sei diesem das Kindergeld zu zahlen, auch wenn er selbst nicht den deutschen Rechtsvorschriften unterliege (EuGHUrteil vom 10. Oktober 1996, Rechtssache C-245/94 – Hoever/Zachow – Slg. I 1996 S. J-04895).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der beigezogenen Kindergeldakte verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung).

1. Das Klagebegehren ist dahin zu verstehen, dass es sich auf den Monat Juni 2011 richtet. Die Klageschrift vom 27. Juli 2011 und die Begründungsschrift vom 08. September 2011 sind insoweit auslegungsbedürftig. Bei der Auslegung des Klagebegehrens, bei der für den Senat keine Bindung an die Fassung des Klageantrags gemäß Klageschrift (Bl. 1 der Gerichtsakte (GA)) in Gestalt der letzten Fassung gemäß Schriftsatz vom 08. September 2011 (Bl. 6 GA) besteht (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), ist zu berücksichtigen, dass der Aufhebungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung eine der (formelle) Bestandskraft fähige Regelung ausschließlich für den Monat Juni 2011 getroffen hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH bindet die Ablehnung oder Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe des Bescheides bzw. der Einspruchsentscheidung (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 2. November 2011 III B 48/11, BFH/NV 2012, 265, m.w.N.; BFH-Urteil vom 4. August 2011 III R 71/10, BFHE 235, 203, m.w.N.). Die Einspruchsentscheidung wurde vorliegend noch im Juni 2011 bekannt gegeben (am 27. Juni 2011 (Montag) versandt (Absendevermerk, Bl. 175 der Kindergeldakte (KgA); Bekanntgabe nach der Vermutungsregelung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) am 30. Juni 2011 (Donnerstag)). Würde man das Begehren dahin verstehen, dass auch eine Entscheidung für die Monate danach erstrebt wird, wäre die Klage insoweit unzulässig, da insoweit keine anfechtbare Regelung vorliegt. Eine dahin gehende Auslegung würde den Grundsätzen einer rechtschutzgewährenden Auslegung widersprechen. Allenfalls kann in dem weitergehenden Klageantrag, soweit sich dieser auf die Folgemonate ab Juli 2011 bezieht, ein von der Bekl außerhalb des Klageverfahrens zu bescheidender Antrag auf Kindergeld vorliegen (vgl. dazu BFH-Urteile vom 22. Dezember 2011 III R 41/07, BFHE 236, 144; vom 05. Juli 2012 V R 58/10, BFH/NV 2012, 1953).

2. Die Klage ist begründet. Der Bescheid über die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes für die in Polen lebende Tochter des Kl. und die hierauf ergangene Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen den Kl. in seinen Rechten (§ 101 FGO). Mit der Aufhebung des Aufhebungsbescheids lebt die ursprüngliche Festsetzung für den Regelungszeitraum der Aufhebung wieder auf, so dass eine Auszahlung des Kindergeldes für den Monat Juni 2011 zu erfolgen hat.

3. Der Kl. hat ab Juni 2011 einen Anspruch auf Kindergeld für seine in Polen beim Großvater lebende und dort ohne eigene Einkünfte und Bezüge studierende Tochter.

Der Kl. ist nach den nationalen Regelungen Deutschlands für s...

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