Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung eines Steuerbescheides nach § 174 Abs. 4 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hinzugeschätzte Einnahmen können einen Sachverhalt i.S.d. § 174 Abs. 4 AO bilden.

2. Eine irrige Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts liegt vor, wenn die Finanzbehörde steuerrechtliche Folgerungen gezogen hat, die sich nachträglich als unzutreffend erweisen.

3. Wenn eine Betriebsprüferin in einem Prüfungsjahr angefallene Einnahmen hinzuschätzt, wobei sie von 150.000 € ausgeht und sie diesen Betrag auf das betreffende Prüfungsjahr und die beiden folgenden Veranlagungszeiträume verteilt, ist diese zeitliche Zuordnung rechtsirrig.

4. Das Finanzamt darf den Steuerbescheid, in welchem es von dieser irrigen Zuordnung der Hinzuschätzungsbeträge ausgegangen ist, gem. § 174 Abs. 4 AO ändern, indem die Hinzuschätzungen nur in dem Jahr angesetzt werden, in welchem die betreffenden Einnahmen erzielt worden sind.

 

Normenkette

AO §§ 162, 169 Abs. 2 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Nr. 1, § 174 Abs. 4; FGO § 96 Abs. 1; AO § 158

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte den Bescheid für 2008 über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften 2008 (Feststellungsbescheid) und den Bescheid für 2008 über den Gewerbesteuermessbetrag (Gewerbesteuermessbescheid) 2008 zu Ungunsten der Klägerin nach § 174 Abgabenordnung (AO) ändern durfte.

Die Klägerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom xx.xx.2007 als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gegründet und betrieb einen Handel für Kraftfahrzeuge, Ersatzteile und Waren verschiedener Art. Gesellschafter zu je 50% und Geschäftsführer waren die Herren U und S.

Für das Streitjahr 2008 gab die Klägerin, die ihren Gewinn nach §§ 4, 5 Einkommensteuergesetz (EStG) ermittelte, ihre Feststellungs- und Gewerbesteuererklärung am 15.01.2010 ab und erklärte darin Einkünfte aus Gewerbebetrieb bzw. einen Gewerbeertrag i.H.v. jeweils 95.345 €.

Die Erklärungen wurden vom Beklagten (zunächst) erklärungsgemäß übernommen und entsprechend veranlagt im Feststellungsbescheid 2008 vom 17.02.2010 und Gewerbesteuermessbescheid 2008.

Im Jahr 2011 stellte die Klägerin ihren Betrieb ein. Sie befindet sich in Liquidation. Ihr Liquidator ist Herr U.

In den Jahren 2013 und 2014 führte der Beklagte für die Umsatzsteuer, gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und Gewerbesteuer jeweils 2008 bis 2011 bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Dabei stellte die Prüferin u.a. für das Streitjahr fest, dass das betriebliche Bankkonto der Klägerin bei der Volksbank E (Kontonummer xxx) nicht in der Buchführung erfasst sei. Zudem stellte sie aufgrund einer Bargeldverkehrsrechnung erhebliche Bargeldfehlbeträge fest. Die fehlenden Bargeldbeträge beträfen die Lebensführung der Gesellschafter der Klägerin i.H.v. 12.000 € bzw. 9.200 €, Bareinzahlungen i.H.v. 225.700 € auf das betriebliche Konto der Klägerin bei der Volksbank E (Kontonummer xxx) sowie i.H.v. 22.200 € auf das Girokonto des Gesellschafter-Geschäftsführers U. Ferner hätten die beiden Gesellschafter der Klägerin im Streitjahr einen Bargeldbetrag i.H.v. insgesamt 70.000 € für die Erbringung von Stammeinlagen für die von ihnen im Jahr 2008 gegründete G & G Immobilien GmbH sowie für dieser Gesellschaft gewährte Darlehensbeträge aufgewendet. Diese Feststellungen würden eine Hinzuschätzung rechtfertigen. Im Rahmen der Schlussbesprechung sei eine Einigung erzielt worden, nach der den bisher erklärten Erlösen ein Betrag von insgesamt 150.000 € (brutto) hinzugeschätzt werde. Dieser Betrag sei gleichmäßig auf die Jahre 2008 bis 2010 zu verteilen, d.h. die jährliche Bruttozuschätzung betrage 50.000 €. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Betriebsprüfungsberichts vom 08.12.2014 Bezug genommen.

Der Beklagte folgte den Feststellungen der Prüferin und erließ in Umsetzung der Feststellungen der Betriebsprüfung am 20.01.2015 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderten Feststellungsbescheid 2008, mit dem er die Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 146.932,12 € feststellte, und am 13.02.2015 einen nach § 35b Abs. 1 Gewerbesteuergesetz (GewStG) geänderten Gewerbesteuermessbescheid 2008, in dem er von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. 146.932 € ausging. Der Beklagte erließ ebenfalls geänderte Umsatzsteuerbescheid 2008 bis 2010 und geänderte Feststellungs- und Gewerbesteuermessbescheid 2009, 2010.

Die Klägerin legte gegen sämtliche Änderungsbescheide Einsprüche ein, die sie hinsichtlich der Änderungsbescheide 2008 am 23.10.2015 wieder zurücknahm. Hinsichtlich der Änderungsbescheide 2009, 2010 trug sie zur Begründung u.a. vor, die Hinzuschätzungen von je 50.000 € (brutto) seien zu Unrecht erfolgt. Für das Streitjahr 2008 festgestellte Bargeldfehlbeträge könnten keine Hinzuschätzungen in den Folgejahren rechtfertigen.

Der Beklagte stimmte der Einschätzung zu, wies jedoch darauf hin, dass eine antragsgemäße Minderung der Hinzuschätzungen in den Jahren 2009 und 2010 im Einspruchsverfahren eine korrespondier...

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