Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch eines berufstätigen Vaters in Deutschland für eine bei der geschiedenen, nicht berufstätigen Mutter in Ungarn lebende Tochter

 

Leitsatz (redaktionell)

1) "Hebt" die Kindergeldkasse vermeintlich gewährtes Kindergeld durch Bescheid "auf", obwohl für den betroffenen Zeitraum kein Kindergeld bewilligt worden war, so ist diese Entscheidung als Ablehnung des Kindergeldantrags auszulegen.

2) Für eine in Ungarn bei der geschiedenen, nicht berufstätigen Mutter lebende Tochter eines Arbeitnehmers in Deutschland besteht ein Kindergeldanspruch, der nicht durch einen vorrangigen Kindergeldanspruch der Mutter ausgeschlossen ist, solange diese dort nicht berufstätig ist. Wenn die Mutter dort eine Berufstätigkeit aufnimmt und aufgrund dessen eine eigene Berechtigung für ungarische Familienleistungen erwirbt, besteht noch ein Anspruch auf deutsches Differenzkindergeld.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1, § 64 Abs. 2 S. 1; BKKG § 3 Abs. 2 S. 1; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 1 Buchst. z, Art. 11 ff., Nr. 987/2009 Art. 97; BGB § 133

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 11.07.2013; Aktenzeichen III R 31/12)

 

Tatbestand

I.

Zu entscheiden ist, ob der Kläger für die Monate Mai 2010 bis Oktober 2010 einen Anspruch auf Kindergeld für seine in Ungarn lebende Tochter hat.

Der Kläger lebt in Deutschland und ist seit dem 01.09.1992 als Arbeitnehmer bei der Fa. X beschäftigt.

Die geschiedene Ehefrau des Klägers, Frau F., erhielt für die am 05.07.2005 geborene, gemeinsame Tochter T in der Zeit von Juli 2005 bis Juni 2009 in Deutschland

Kindergeld.

Die Ehe wurde am 01.06.2009 geschieden. Seit dem 30.06.2009 lebt die geschiedene Ehefrau des Klägers zusammen mit ihrer Tochter T in Ungarn.

Am 20.05.2010 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung von Kindergeld für seine Tochter für die Zeit ab Juli 2009.

Ausweislich des von den ungarischen Behörden am 30.07.2010 ausgestellten und übersandten Formulars E 411 ging die geschiedene Ehefrau des Klägers in Ungarn seit dem 01.06.2009 keiner beruflichen Tätigkeit nach und bezog seit dem 01.07.2009 Familienleistungen in Höhe von 13.700 HUF pro Monat.

Die Beklagte setzte daher mit Bescheid vom 11.08.2010 für die Zeit von Juli 2009 bis April 2010 gegenüber dem Kläger Kindergeld in Höhe der Differenz zwischen dem deutschen Kindergeld und den ungarischen Familienleistungen fest.

Ebenfalls mit Bescheid vom 11.08.2010 hob sie die Kindergeldfestsetzung für die Tochter des Klägers gem. § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) ab Mai 2010 auf, da die geschiedene Ehefrau des Klägers nach § 64 EStG vorrangig kindergeldberechtigt sei.

Mit seinem am 08.09.2010 hiergegen erhobenen Einspruch wandte sich der Kläger gegen die Nichtgewährung des Kindergeldes für die Zeit ab Mai 2010 und stellte klar, eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung komme bereits deshalb nicht in Betracht, weil für die Zeit ab Mai 2010 zuvor kein Kindergeld festgesetzt worden sei.

Im Rahmen ihrer Einspruchsentscheidung vom 05.10.2010 korrigierte die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid dahingehend, dass die Kindergeldfestsetzung nicht aufgehoben, sondern der Antrag auf Bewilligung von Kindergeld ab Mai 2010 abgelehnt werde. Im Übrigen wies sie den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, er habe für seine in Ungarn lebende Tochter in Deutschland einen Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld. Gem. Art. 68 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 (VO (EG) Nr. 883/2004) sei vorrangig in Deutschland Kindergeld zu gewähren.

§ 64 EStG sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig. § 64 EStG regele das Zusammentreffen mehrerer öffentlich-rechtlicher Ansprüche und setze voraus, dass die Elternteile beide gleichermaßen kindergeldberechtigt seien. Ein Anspruch der Kindesmutter scheide hier jedoch aus, da die geschiedene Ehefrau des Klägers nicht in Deutschland lebe und daher nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei. Ihr stehe nach dem Einkommensteuergesetz daher kein Kindergeld zu.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 11.08.2010 in Form der Einspruchsentscheidung vom 05.10.2010 zu verpflichten, ihm für seine in Ungarn lebende Tochter Kindergeld für die Zeit ab Mai 2010 zu gewähren, hilfsweise ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Zur Begründung trägt sie vor, der Kläger falle in den Geltungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004 und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 (VO (EG) Nr. 987/2009). Ob ein Anspruch auf deutsches Kindergeld bestehe, bestimme sich im Verhältnis zu anderen Staaten der Europäischen Union nach den Regelungen der Verordnungen, die als überstaatliche Vorschriften der deutschen Rechtsordnung vorgingen und in Deutschland unmittelbar geltendes Recht seien.

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