Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerstreitende Steuerfestsetzung, rückwirkendes Ereignis, Restschuldbefreiung, Einspruch Zinsbescheid

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Hat das FA auf Grund irriger Beurteilung die Steuerfolgen einer Restschuldbefreiung i.S.d. §§ 286 ff. InsO nicht im VZ der Betriebsaufgabe, sondern im VZ der Erteilung berücksichtigt und hat der Stpfl. dies erfolgsreich angefochten, können die richtigen Steuerfolgen nachträglich gemäß § 174 Abs. 4 AO durch Änderung des Steuerbescheides für den VZ der Betriebsaufgabe gezogen werden. Der Ablauf der Festsetzungsfrist für den Steuerbescheid des VZ der Betriebsaufgabe steht dem nicht entgegen, wenn das FA diesen Bescheid innerhalb eines Jahres nach Änderung des fehlerhaften ESt-Bescheides korrigiert.

2) Ein Einspruch gegen den ESt-Bescheid kann nicht stets auch als Einspruch gegen den Zinsbescheid ausgelegt werden, auch wenn dieser mit dem ESt-Bescheid gemäß § 233a Abs. 4 AO zusammengefasst wurde.

 

Normenkette

AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EStG § 233a Abs. 1, Abs. 4; InsO § 286 ff; AO § 174 Abs. 4

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 06.04.2022; Aktenzeichen X R 28/19)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist insbesondere streitig, ob eine im Jahre 2011 erteilte Restschuldbefreiung ein rückwirkendes Ereignis darstellt und deshalb die Einkommensteuerbescheide 2005 bis 2012 sowie die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2005 bis 31.12.2011 geändert werden durften.

Aus dem Betrieb eines … in Form eines Einzelunternehmens erwirtschaftete der Kläger erhebliche Verluste. Diese resultierten vorwiegend aus dem bei Kauf der Immobilie unterschätzten Sanierungsbedarf der Immobilie.

Auf den 31.12.2004 stellte der Beklagte (das Finanzamt –FA–) einen verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer von 1.463.000 € fest.

Anfang Januar 2005 stellte der Kläger einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Auf den Betrieb des … hatte dies nach einer chronologischen Aufstellung, die die Kläger in der mündlichen Verhandlung zur Gerichtsakte gereicht haben, zunächst keinen Einfluss. Der Kläger betrieb es hiernach bis zum 27.2.2005 weiter. Anschließend führte Frau A, die bisherige Restaurantleiterin, das Haus fort.

Über das Vermögen des Klägers eröffnete das Amtsgericht B am …3.2005 das Insolvenzverfahren (Aktenzeichen: … IN …/05). Die Insolvenzverwalterin, Frau Rechtsanwältin C, veräußerte mit notarieller Urkunde vom 16.6.2005 (Nummer … der Urkundenrolle für 2005 des Notars D) das im Grundbuch des Amtsgerichts E von F Blatt … verzeichnete Immobiliarvermögen für einen Kaufpreis von 1.200.000 €. Wegen der weiteren Details wird auf den Inhalt der Vertragsurkunde Bezug genommen.

Während des Insolvenzverfahrens ging der Kläger einer nichtselbständigen Arbeit nach. Abgesehen von Einkünften aus Gewerbebetrieb, die aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens resultierten, erzielte der Kläger Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (2005 bis 2007) sowie aus Kapitalvermögen (2005 bis 2009). Ab 2008 wurde der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau, der Klägerin, zur Einkommensteuer veranlagt; diese erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Vermietung und Verpachtung.

Der letzte Einkommensteuerbescheid 2005 vor der streitgegenständlichen Änderung, der weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand, erging unter dem 14.9.2009. Unter dem 3.9.2009 erließ das FA ferner einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005. Darin verminderte sich der zum Ende des Vorjahres festgestellte Verlustvortrag um 70.828 € auf 1.392.172 €. Beide Bescheide waren an den Kläger „vor Insolvenz” gerichtet.

Am 14.9.2009 erließ das FA einen weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 2006, in dem es Einkommensteuer in Höhe von 0 € festsetzte. Der verbleibende Verlustabzug zur Einkommensteuer verringerte sich nach dem Feststellungsbescheid vom 3.9.2009 auf 1.372.172 €. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob das FA am 24.11.2011 hinsichtlich beider Bescheide auf.

Durch Bescheid vom 19.5.2010 setzte das FA die Einkommensteuer für 2007 auf 0 € fest; den verbleibenden Verlustvortrag auf den 31.12.2007 stellte es durch Bescheid vom selben Tag mit 1.351.274 € fest. Die Vorbehalte der Nachprüfung, unter denen die beiden Bescheide standen, hob das FA durch Verfügungen vom 24.11.2011 auf.

Unter dem 4.8.2010 erging ein Bescheid für 2008 über Einkommensteuer gegenüber den Klägern in Höhe von 0 €. Am selben Tag erließ das FA einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2008, in dem es verbleibenden Verlustvortrag mit 1.302.597 € feststellte.

Mit Bescheid vom 17.6.2011 setzte das FA Einkommensteuer für 2009 gegenüber den Klägern abermals über 0 € fest. Der verbleibende Verlustvortrag auf den 31.12.2009 verringerte sich auf 1.217.419 €. Beide Bescheide standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

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