Entscheidungsstichwort (Thema)

Abstandnahme vom Kapitalertragsteuerabzug, Dauerüberzahlerbescheinigung, Überzahlungssituation bei Führungs- und Funktionsholding. gerichtlicher Beurteilungszeitpunkt. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VIII R 31/21)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die bei einer Führungs- und Funktionsholding gegebene Dauerüberzahlungssituation beruht auf der Art ihrer Geschäfte, sofern der Unternehmensgegenstand allein im Halten von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften besteht, die Einkünfte also fast ausschließlich aus steuerfreien, aber kapitalertragsteuerpflichtigen Beteiligungserträgen bzw. Veräußerungsgewinnen stammen.

2. Werden im Rahmen der Holdingfunktion gegenüber der Tochtergesellschaft auch Beratungsleistungen erbracht, stellt dies die Dauerüberzahlungssituation nicht infrage, wenn die Holdinggesellschaft nicht über eigenes Personal zur Erbringung solcher Leistungen verfügt, sie also organisatorisch nicht dafür ausgestattet ist, Beratungsleistungen erwerbswirtschaftlich zu erbringen und hieraus substantielle Gewinne zu erzielen.

3. Eine Dauerüberzahlungssituation ist nicht nur dann gegeben, wenn die gesamte einbehaltene Kapitalertragsteuer zu erstatten ist. Ausreichend ist, dass die festgesetzte Körperschaftsteuer geringer als die anzurechnende Kapitalertragsteuer ist.

4. Zur Bestimmung der „Art der Geschäfte” im Sinne von § 44a Abs. 5 EStG ist nicht der satzungsmäßig bestimmte Unternehmensgegenstand maßgeblich, sondern die tatsächlich ausgeübte Unternehmenstätigkeit.

5. Die sogenannte Dauerüberzahlerbescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG ist kein Freistellungsbescheid und damit auch kein Steuerbescheid. Jedoch stellt sie einen sonstigen begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne von § 130 Abs. 2 AO dar.

6. Eine Beschränkung der gerichtlichen Prüfung des Anspruchs auf Erteilung einer Dauerüberzahlerbescheinigung auf die Zeit bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung besteht nicht, wenn nach den Umständen des Streitfalls davon auszugehen ist, dass der Regelungsgegenstand der Ablehnung bzw. der bestätigenden Einspruchsentscheidung keine zeitliche Begrenzung auf den jeweiligen Entscheidungszeitpunkt enthielt, sondern auch in die Zukunft wirkt.

 

Normenkette

EStG § 44a Abs. 5 S. 4, § 43 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 9; KStG § 8b; AO §§ 130-131, 153, 155 Abs. 1 S. 3; FGO § 44 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 12.12.2023; Aktenzeichen VIII R 31/21)

 

Tenor

1. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin eine Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG zu erteilen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin eine Bescheinigung für die Abstandnahme vom Kapitalertragsteuerabzug gemäß § 44a Abs. 5 Satz 4 Einkommensteuergesetz (EStG; (Dauerüberzahlerbescheinigung) auszustellen ist.

Die Klägerin ist eine GmbH und wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 25. Februar 2014 gegründet. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist laut Handelsregisterauszug die Beratung von Unternehmen mit Ausnahme der Rechts- und Steuerberatung sowie der Erwerb, die Veräußerung und Verwaltung von Beteiligungen und die Verwaltung eigenen Vermögens.

Die Klägerin ist Alleingesellschafterin der … GmbH (vormals … GmbH; Tochtergesellschaft), welche wiederum Alleingesellschafterin der … o.o.o. sowie der …GmbH ist. Nach Angaben der Klägerin ist sie als Führungs- und Funktionsholding tätig und verfolgt einen langfristigen Investitionseinsatz. Aus der Beteiligung an der Tochtergesellschaft bezog die Klägerin in der Vergangenheit jährlich Gewinnausschüttungen.

Die Klägerin erbringt gegenüber ihrer Tochtergesellschaft Beratungsleistungen. Sie beschäftigt hierfür keine Mitarbeiter. Für die Erbringung von Beratungsleistungen gegenüber der Tochtergesellschaft ist sie daher gezwungen, sich gegen Entgelt Dritt-Berater zu besorgen. In diesem Zusammenhang wurde ein Beratungsrahmenvertrag mit der S… GmbH, welche mit 54 % an der Klägerin beteiligt ist, abgeschlossen. Die S… GmbH war von der Klägerin beauftragt worden, ein Restrukturierungs- und Beratungskonzept im Hinblick auf die Tochtergesellschaft zu erarbeiten. Hierzu stellte die S… GmbH umfangreiche Beratungsdienstleistungen zur Verfügung. Die Beratungsdienstleistungen sollten durch Mitarbeiter der S… GmbH, verbundene Unternehmer und/oder durch die Hinzuziehung externer Berater erfolgen (§ 1 des Beratungsrahmenvertrags ….). Das Honorar für die Beratungsleistungen wurde nach dem Umsatz der Tochtergesellschaft des vorangegangenen Geschäftsjahres sowie einem Pauschalpreis pro Monat und Person in Höhe von 9.750 EUR berechnet (§ 3 des Beratungsrahmenvertrags …).

In der Vergangenheit stellte sich die steuerliche Situation der Klägerin ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge