rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksamkeit der Klagerücknahme

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Besteht nach dem Ergehen des Einstellungsbeschlusses darüber Streit, ob die Klage wirksam zurückgenommen worden ist, kann der Kläger die Fortsetzung des Verfahrens beantragen.

2. Das Gericht hat dann – wenn der Antrag gestellt wird – das Verfahren fortsetzen und über die Wirksamkeit der Rücknahme und gegebenenfalls über die Sache selbst entscheiden.

3. Eine Klagerücknahme ist als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und kann auch nicht – etwa in entsprechender Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Anfechtung von Willenserklärungen – angefochten werden.

4. Die FGO sieht aber gleichwohl den Fall vor, dass in einem Steuerrechtsstreit nachträglich die Unwirksamkeit einer Klagerücknahme geltend gemacht wird.

5. In den Fällen, in denen ein rechtsunkundiger Steuerpflichtiger in unzulässiger Weise – etwa durch Drohung, Druck, Täuschung oder auch unbewusste Irreführung – zur Abgabe einer solchen Erklärung veranlasst worden ist, die Unwirksamkeit einer Klagerücknahme anzunehmen.

 

Normenkette

FGO § 72 Abs. 2; ZPO §§ 579-580

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Klage wirksam zurückgenommen ist.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob ein Klageverfahren wegen Kindergeld für den Zeitraum von Dezember 2011 bis Juni 2012 durch Klagerücknahme beendet worden ist.

Mit Bescheid vom 4. Mai 2015 hob die Beklagte ([…] <Familienkasse>) die Kindergeldfestsetzung für [MM] ab Mai 2011 auf und forderte Kindergeld für den Zeitraum von Mai 2011 bis November 2011 zurück. Zur Begründung verwies die Familienkasse darauf, dass MM ihre Schulausbildung abgebrochen habe und daher keinen Kindergeldtatbestand mehr erfülle. Der hiergegen gerichtete Einspruch, mit dem die Klägerin geltend gemacht hatte, dass MM aufgrund einer depressiven Störung die Schule abgebrochen habe und arbeitsunfähig sei, hatte keinen Erfolg und wurde mit Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2015 als unbegründet zurückgewiesen.

Die dagegen gerichtete Klage wurde unter dem Az. 12 K 1697/15 beim Finanzgericht geführt. Die Klägerin erteilte für diese Klage den Rechtsanwälten […] (RA) und […] (CB) am 1. Juli 2015 eine Prozessvollmacht (FG-Akte 1697/15 Bl 22). Mit der Klageschrift vom 2. Juli 2015 beantragte RA, der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin, die Aufhebung des Bescheides vom 4. Mai 2015 und der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2015 sowie die Verpflichtung der Familienkasse, für MM für die Zeit von Mai 2011 bis September 2015 Kindergeld zu bezahlen. Mit Schreiben vom 21. Juli 2015 änderte RA den Klageantrag und beantragte nur mehr Kindergeld für die Zeit von Mai 2011 bis Juni 2012; zur Begründung führte er aus, dass das Kind im Juni 2012 bei der Klägerin ausgezogen sei und deshalb kein weiteres Kindergeld begehrt werde. Mit gerichtlichem Schreiben vom 18. August 2015 fragte die Berichterstatterin nach, ob die Klage für den Zeitraum von Juli 2012 bis September 2015 zurückgenommen werde. Mit Schriftsatz vom 4. September 2015 nahm RA die Kindergeldklage für den Zeitraum von Juli 2012 bis September 2015 zurück (FG-Akte 1697/15 Bl 34).

Weiter wurde im Schriftsatz vom 4. September 2015 von RA ausgeführt, dass der Klägerin bis mindestens November 2011 Kindergeld zustehe und das Kind MM im streitgegenständlichen Zeitraum von Mai 2011 bis November 2011 seelisch behindert sei (FG-Akte 1697/15 Bl 35). Mit gerichtlichem Schreiben vom 15. September 2015 fragte die Geschäftsstelle des Senats im Auftrag der Berichterstatterin nach, ob die Klage für den Zeitraum Dezember 2011 bis Juni 2012 ebenfalls zurückgenommen werde. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2015 wurde die Klage auch für den Zeitraum Dezember 2011 bis Juni 2012 zurückgenommen (FG-Akte 1697/15 Bl 39); dieses Schreiben wies als Sachbearbeiter RA aus, war aber von CB mit dem Zusatz „i.V.” unterzeichnet worden.

Mit einem auf den 10. September 2015 (sic!) datierten Beschluss trennte die Berichterstatterin das Verfahren wegen Kindergeld für den Zeitraum Dezember 2011 bis September 2015 ab und stellte nach der Klagerücknahme das abgetrennte Verfahren ein. Das abgetrennte Verfahren hat das Az. 12 K 2590/15 erhalten. Der Einstellungsbeschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit gerichtlichem Schreiben vom 22. Oktober 2015 durch die Senatsgeschäftsstelle bekannt gegeben (FG-Akte 1697/15 Bl 40 f.).

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Januar 2016 hat das Finanzgericht der noch rechtshängigen Klage der Klägerin entsprochen und den Bescheid vom 4. Mai 2015 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2015 für den Zeitraum von Mai bis November 2011 aufgehoben. Der Gerichtsbescheid vom 19. Januar 2016 wirkt als Urteil.

Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2016 hat die Klägerin durch ihren damaligen Prozessbevollmächtigten RA erneut Klage erheben lassen und beantragt, den Bescheid der Familienkasse vom 22. März 2016 und die Einspruchsentscheidung vom 11. M...

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