Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichterhebung von Kapitalertragsteuer nach der Mutter-Tochter-Richtlinie. Auslegung einer Freistellungsbescheinigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Entscheidung, ob bei einer Gewinnausschüttung einer inländischen Tochtergesellschaft an ihre ausländische (hier: französische) Muttergesellschaft vom Kapitalertragsteuerabzug abgesehen werden darf, kann nur durch eine Freistellungsbescheinigung des Bundesamts für Finanzen getroffen werden. Dieser Verwaltungsakt legt die Pflicht des Schuldners der Kapitalerträge zum Abzug und zur Einbehaltung verbindlich fest.

2. Gilt die Freistellung nach dem Wortlaut der Bescheinigung für Gewinnausschüttungen, die in der Zeit vom 1.7.1996 bis zum 30.6.1999 zufließen, so ist sie nach dem Sprachgebrauch dahin auszulegen, dass sie eine beim Empfänger im Juli 1996 eingehende Ausschüttung erfasst, selbst wenn diese nach der Zuflussfiktion des § 44 Abs. 2 EStG steuerlich möglicherweise als außerhalb des benannten Zeitraums zugeflossen gilt.

 

Normenkette

EStG 1990 § 50d Abs. 3, § 44 Abs. 1 S. 3, Abs. 5, 2, § 11 Abs. 1, § 44d Abs. 1; BGB § 133; EWGRL 435/90 Art. 5 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 20.12.2006; Aktenzeichen I R 13/06)

 

Tenor

1. Die Einspruchsentscheidung vom 26. Februar 2003 und der Haftungsbescheid über Kapitalertragsteuer vom 20. Dezember 2000 werden aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

4. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Finanzamt darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die Klägerin zu Recht als Haftungsschuldnerin für nicht abgeführte Kapitalertragsteuer in Anspruch genommen worden ist.

Die Klägerin ist eine inländische GmbH, deren Stammkapital zu 100 v.H. von einer Kapitalgesellschaft französischen Rechts (S.A.) mit Sitz in xxxxx gehalten wird.

Die Gesellschafterversammlung der Klägerin beschloss am 19. April 1996 für das Jahr 1995 eine Gewinnausschüttung von 4 Mio. DM, die wie es im Beschluss ausdrücklich heißt nach dem 30. Juni 1996 stattfinden sollte. Die tatsächliche Ausschüttung erfolgte am 22. Juli 1996. Auf Antrag hatte das Bundesamt für Finanzen zuvor am 11. Juli 1996 einen Bescheid erlassen, wonach die Klägerin berechtigt sein soll, den Steuerabzug für Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 0 v.H. vorzunehmen und mithin die Kapitalertragsteuer nicht zu erheben sei. Die Bescheinigung sollte für Kapitalerträge gelten, die in der Zeit vom 1.7.96 bis zum 30.6.99 zufließen. Auf dieser Grundlage sah die Klägerin davon ab, den Kapitalertragsteuerabzug für die am 22. Juli 1996 ausbezahlte Gewinnausschüttung vorzunehmen.

Im Rahmen einer bei der Klägerin für die Jahre 1995 bis 1998 durchgeführten Außenprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, die Ausschüttung 1995 an die S.A. sei von der Absenkung der Quellensteuer auf 0 % ab dem 1. Juli 1996 nicht begünstigt, da aufgrund der fehlenden Bestimmung des Auszahlungstages hinsichtlich des Zuflusszeitpunktes die Fiktion des § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG gelte (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 8. Juli 1998 I R 57/97, BStBl II 1998, 672). Als Zeitpunkt der Ausschüttung und damit Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer gelte deshalb der 20. April 1996. Der vom Bundesamt der Finanzen erteilte, ab dem 1. Juli 1996 gültige Freistellungsbescheid wirke daher auf diese Ausschüttung nicht.

Das seinerzeit zuständige Finanzamt (FA) schloss sich dieser Auffassung an und nahm die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 20. Dezember 2000 gemäß § 44 Abs. 5 EStG wegen hier nicht abgeführter Kapitalertragsteuer als Haftungsschuldnerin in Anspruch.

Mit ihrem dagegen eingelegten Einspruch hatte die Klägerin keinen Erfolg. Zur Begründung führte das FA aus, ob im vorliegenden Fall eine Kapitalertragsteuer erhoben werde, hänge nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG, mit dem die sog. Mutter/Tochter-Richtlinie der EU umgesetzt worden sei, davon ab, wann der Kapitalertrag zugeflossen sei. Im Streitfall sei der in Rede stehende Gewinnverteilungsbeschluss der Klägerin am 19. April 1996 gefasst worden. Zugleich sei im Beschluss als Fälligkeitstermin für die vorzunehmenden Ausschüttungen die Zeit nach dem 30.6.1996 bestimmt worden. Diese zeitliche Angabe genüge zur Bestimmung einer abweichenden Fälligkeit i.S. von § 44 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht. Folge dieser Rechtslage sei, dass insoweit auf die Zuflussfiktion in § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG zurückgegriffen werden müsse; als Zuflusszeitpunkt gelte der Tag nach dem Ausschüttungsbeschluss, also der 20. April 1996. Die Mutter/Tochter-Richtlinie lasse das (innerstaatliche) Recht der Bundesrepublik Deutschland zur Vornahme des Steuerabzugs an der Quelle, um das es im Streitfall gehe, unberührt. Da...

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