Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung der Vollziehung. Ausschluss der Steuerbegünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG im Falle der Hinzugewinnung neuer Mandanten/Patienten innerhalb der „gewissen” Zeit nach der Betriebsaufgabe im bisherigen örtlichen Wirkungskreis

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird der Veräußerer einer Freiberuflerpraxis als Arbeitnehmer oder als freier Mitarbeiter im Auftrag und für Rechnung des Erwerbers tätig, ist dies für die Tarifbegünstigung des Veräußerungsgewinns grundsätzlich unschädlich, da der Erwerber trotzdem zivilrechtlich und wirtschaftlich in der Lage ist, die Beziehungen zu den früheren Mandanten des Veräußerers zu verwerten.

2. Der Mandantenstamm eines Freiberuflers ist ein „flüchtiges” Wirtschaftsgut, dessen dauerhafte und endgültige Übertragung auf den Erwerber verhindert werden kann, indem der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit fortführt bzw. wieder aufnimmt. Dies gilt unabhängig davon, dass es in jedem Fall die Entscheidung der Mandanten bleibt, von wem sie sich weiter beraten lassen.

3. Übernimmt der Steuerpflichtige einige Zeit nach Veräußerung seiner Praxis erneut die Betreuung früherer Mandanten, so liegt der Neubeginn einer freiberuflichen Tätigkeit vor, die die frühere Aufgabe nicht in Frage stellt. Entscheidend ist die Dauer der einzuhaltenden Wartefrist; eine Zeitspanne von über drei Jahren wird als hinreichend angesehen.

4. Eine geringfügige Fortsetzung der freiberuflichen Tätigkeit im bisherigen örtlichen Wirkungskreis in einem Umfang von weniger als 10 % der durchschnittlichen Jahreseinnahmen aus den drei Veranlagungszeiträumen vor dem Jahr der Betriebsveräußerung ist unschädlich. Ernstlich zweifelhaft ist jedoch, ob jedweder Zuwachs an neuen Patienten bzw. Mandanten oder Auftraggebern auch innerhalb der 10 %-Grenze als schädlich angesehen werden kann, sofern er nicht nur einen äußerst unerheblichen Umfang aufweist.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 3, § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 3; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1

 

Tenor

1. Die Vollziehung des geänderten Bescheids für 2011 über Einkommensteuer vom … wird bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung insoweit aufgehoben, als Einkünfte des Antragstellers aus selbstständiger Arbeit aus Veräußerungsgewinnen i.H.v. … EUR gemäß § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 1 und § 34 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 EStG ermäßigt zu besteuern sind, höchstens i.H.v. … EUR. Die Berechnung der Einkommensteuer, deren Vollziehung hiernach aufzuheben ist, wird dem Finanzamt übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung).

2. Die Vollziehung des geänderten Bescheids für 2011 über Zinsen zur Einkommensteuer vom … wird bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung aufgehoben.

3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Der Beschluss ist im Kostenpunkt für den Antragsteller vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Antragstellers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Antragsgegner vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

5. Die Beschwerde wird zugelassen

 

Tatbestand

I.

Streitig ist im Einspruchsverfahren, ob der vom Antragsteller im Streitjahr 2011 aus der Veräußerung seiner Steuerberaterkanzlei erzielte Veräußerungsgewinn nach § 18 Abs. 3 i.V.m. §§ 16, 34 Abs. 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) tarifbegünstigt zu versteuern ist.

Der Antragsteller ist verheiratet und wird zusammen mit seiner Ehefrau (E) zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für 2011 vom … erklärten der Antragsteller und E u.a. Einkünfte des Antragstellers aus selbstständiger Arbeit

  • • aus freiberuflicher Tätigkeit als Steuerberater i.H.v. … EUR,
  • • aus selbstständiger Arbeit gemäß gesonderter Feststellung für die … (Partnergesellschaft …) i.H.v. … EUR sowie
  • • aus einem Veräußerungsgewinn (Veräußerungsgewinn 2011) i.H.v. … EUR, hinsichtlich dessen der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG in Anspruch genommen wurde.

Der Veräußerungsgewinn 2011 ergab sich aus der Veräußerung seiner in …, unter seinem Namen betriebenen Steuerkanzlei (Kanzlei K) unter Übereignung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen mit Vertrag vom … (Übergabevertrag 2011) zum … an die Erwerber … (K) und …(N) zu einem Gesamtkaufpreis i.H.v. … EUR.

Bereits mit Partnerschaftsvertrag vom … hatten der Antragsteller, K und N die Gründung der Partnergesellschaft …, einer Steuerberatungs- und Rechtsanwaltspartnergesellschaft, zum … vereinbart, welche den von N und K mit dem Übergabevertrag 2011 je hälftig erworbenen Mandantenstamm der Kanzlei K nutzen sollte; der Antragsteller

  • • war an dieser Partnergesellschaft … zu …, nicht jedoch an Verlusten oder am Vermögen der Gesellschaft beteiligt und
  • • sollte in Teilzeit tätig sein, um für eine Übergangszeit von etwa zwei Jahren den Wechsel der erworbenen Mandate auf K und N zu unterstützen.

Gemäß einem Vertrag über freie Mitarbeit zwischen dem Antragsteller und der Partnergesellschaft … vom …wurde der Antragsteller „...

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