Revision eingelegt (BFH VII R 10/20) Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (BFH VII B 194/18)

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerberaterprüfung: Grundsätze der gerichtlichen Kontrolle von Prüfungsentscheidungen - Keine Anonymisierung - Bewertungsschema Grundsätze der Überprüfung von Prüfungsarbeiten im Überdenkungsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der gerichtlichen Kontrolle von Prüfungsentscheidungen ist zwischen Fachfragen und prüfungsspezifischen Wertungen zu unterscheiden.

a) In Bezug auf Fachfragen hat das Gericht aufgrund substantiierter Einwendungen des Prüflings darüber zu befinden, ob die von einem Prüfer als falsch bewertete Lösung im Gegenteil richtig oder jedenfalls vertretbar sei. Fachfragen sind alle Fragen, die fachwissenschaftlicher Erörterung zugänglich sind.

b) Bei komplexen prüfungsspezifische Bewertungen im Gesamtzusammenhang des Prüfungsverfahrens ist den Prüfern ein Bewertungsspielraum zuzubilligen welche sich nicht ohne weiteres in einem Gerichtsverfahren einzelner Prüflinge isoliert nachvollziehen lassen. Zu solchen prüfungsspezifischen Bewertungen gehören insbesondere die Gewichtung verschiedener Aufgaben untereinander, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabenstellung und die Würdigung der Qualität der Prüfungsleistung. Dabei ist auch die Darstellung des Lösungsweges durch den Prüfling, ihre Systematik und Folgerichtigkeit, ihre Prägnanz und dergleichen zu berücksichtigen.

c) Die Bewertung einer Prüfungsleistung kann sich nicht darin erschöpfen, eine bloße Gegenüberstellung von Teilen der Musterlösung und der Aufsichtsarbeitbearbeitung vorzunehmen oder Einzelpunkte aus der Arbeit des Prüflings herauszusuchen und diese ohne Gewichtung und Berücksichtigung der Art und Weise der Gesamtdarstellung gleichsam zu addieren.

2. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Aufsichtsarbeiten zur Steuerberaterprüfung nicht anonym, sondern mit Namensnennung der Prüflinge geschrieben und bewertet werden. Insbesondere gebietet der aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitete prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit kein Kennzahlensystem für Prüfungsarbeiten.

3. Es ist nicht zu beanstanden, wenn den Prüfern für die Bewertung der Aufsichtsarbeiten ein Bewertungsschema zur Verfügung gestellt wird.

4. a) Das Überdenkungsverfahren bezüglich der Aufsichtsarbeiten ist nicht darauf ausgerichtet, eine vollständige Neubewertung der Prüfungsleistung vorzunehmen, sondern dient der Auseinandersetzung mit den Einwendungen des Prüflings, wobei anders als bei der gerichtlichen Überprüfung durch die Prüfer selbst auch prüfungsspezifische Bewertungen überprüft werden können.

b) Die Durchführung des Überdenkungsverfahrens gemäß § 29 DVStB hat nicht unter Anwendung der Verfahrensvorschriften für die Bewertung der Aufsichtsarbeiten gemäß § 24 DVStB zu erfolgen.

c) Es ist weder zu beanstanden, wenn sich die Prüfer im Rahmen des Überdenkungsverfahrens abstimmen und eine abgestimmte Stellungnahme abgeben, noch wenn sich bei Abgabe einer Stellungnahme der Erstprüfer einer Äußerung des Zweitprüfers anschließt.

d) Es besteht kein Anlass, jegliche Äußerung der Prüfer nach Abschluss des Überdenkungsverfahrens weiterhin als Fortsetzung des Bewertungsvorgangs und damit als Fortsetzung des Überdenkungsverfahrens anzusehen.

e) Es ist im Rahmen des Überdenkungsverfahrens nicht geboten, dass sich die Prüfer hinsichtlich der Vergabe einzelner Punkte festlegen, wenn sich diese Punkte nach Einschätzung der Prüfer nicht auf die gegebene Note auswirken können.

f) Es ist den Prüfern nicht verwehrt, bei der Auseinandersetzung mit den Einwendungen des Prüflings nicht nur den einzelnen vom Prüfling angesprochenen Wertungspunkt in den Blick zu nehmen, sondern umfassender zu prüfen, ob die Ausführungen des Prüflings zu ungünstig beurteilt worden sind; dazu gehört auch die Prüfung, ob möglicherweise anstelle eines zusätzlich zu gebenden Punktes an anderer Stelle - insbesondere im inhaltlichen Zusammenhang der Aufgabenlösung - ein Punkt nicht zu geben gewesen wäre. Beanstandungen hinsichtlich der Vergabe einzelner Punkte sind nur insoweit von Bedeutung, als sich eine Auswirkung auf die Benotung der Aufsichtsarbeit insgesamt ergibt.

 

Normenkette

StBerG § 37; DVStB § 18 Abs. 1 S. 4, §§ 25, 29; GG Art 3; GG Art 12

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 11.07.2023; Aktenzeichen VII R 10/20)

 

Tatbestand

Die Klage richtet sich gegen das Nichtbestehen der Steuerberaterprüfung 2015/2016.

Die Klägerin hat an der Steuerberaterprüfung 2015/2016 teilgenommen, nachdem sie zuvor die Steuerberaterprüfung zweimal nicht bestanden hat. In der Steuerberaterprüfung 2015/2016 sind die Aufsichtsarbeiten der Klägerin wie folgt bewertet worden:

- Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete

5,00

- Steuern vom Einkommen und Ertrag

4,50

- Buchführung und Bilanzwesen

5,00,

Gesamtnote

4,83.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit schriftlichem Bescheid vom 16.12.2015 mit, dass sie die Steuerberaterprüfung nicht bestanden habe, weil die Gesamtnote ihrer schriftlichen Arbeiten die Zahl 4,5 über...

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