Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung: Vorläufiger Rechtsschutz bei einem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

Der Antrag des Finanzamts auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerpflichtigen ist ermessensfehlerhaft, wenn andere Vollstreckungsmaßnahmen nicht ausgeschöpft werden und insbesondere im Rahmen der Abwägung nicht berücksichtigt wird, dass die Höhe der festgesetzten Steuer nicht bestandskräftig ist, weil der Steuerpflichtige wegen noch nicht ergangenem Grundlagenbescheid keine Möglichkeit der Anfechtung hatte. In die Abwägung ist auch einzubeziehen, dass bei einem erfolgreichen Antrag auf AdV die Steuer überhaupt nicht fällig wäre.

 

Normenkette

FGO § 114; AO §§ 249, 251

 

Tatbestand

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, den Antragsgegner zur Rücknahme eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verpflichten.

Der Antragsteller bezieht monatliche Renten in Höhe von insgesamt 5.450 €. Daneben ist er an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der A GbR (im Folgenden GbR), beteiligt, die in B ein ..... Unternehmen aufbaut und bisher nur Verluste erwirtschaftet hat.

Mit zuletzt am 06.09.2010 geändertem Einkommensteuerbescheid für 2007 setzte der Antragsgegner die Einkommensteuer auf 147.174 € fest. In den Besteuerungsgrundlagen wurden auch die Einkünfte aus einer Beteiligung an der Schifffahrtsgesellschaft C in Höhe von 465.671,64 € auf Grund entsprechender Erklärung durch den Antragsteller berücksichtigt. Eine Gewinnfeststellung für die Schifffahrtsgesellschaft C (im Folgenden Schifffahrtsgesellschaft) ist durch das Betriebsstättenfinanzamt bisher nicht erfolgt. In Höhe von etwa 100.000 € war die Einkommensteuerschuld bis zum 31.12.2009 gestundet worden. Am 08.02.2010 zahlte der Antragsteller 42.885,54 € auf die Abgabenschuld 2007.

Am 06.07.2009 beantragte der Antragsteller die Einkommensteuer für 2007 in Höhe von 95.172 €, den Solidaritätszuschlag in Höhe von 1.234,46 € und die Kirchensteuer von 660 € zu erlassen. Mit Bescheid vom 16.11.2009 lehnte der Antragsteller diesen Antrag ab. Über den am 03.12.2009 erhobenen Einspruch ist bisher im Einvernehmen mit dem Antragsteller nicht entschieden worden, das Verfahren ruht.

Am 12.07.2010 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zur Zahlung des rückständigen Gesamtbetrags von 107.970,50 € bis zum 26.07.2010 auf und kündigte Vollstreckungsmaßnahmen für den Fall an, dass die Abgabenschuld nicht beglichen würde. Einen Antrag auf Stundung bis zum 31.12.2010 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 15.09.2010 ab.

Am 01.10.2010 gab der Antragsteller eine Einkommens- und Vermögensübersicht ab, aus der sich ergibt, dass monatlichen Einnahmen in Höhe von 6.125,15 € monatliche Ausgaben in Höhe von 10.376 € gegenüber stehen. Der Antragsteller hat langfristige Verbindlichkeiten in Höhe von 557.981 € sowie ein Grundstück in D, das über den Verkehrswert mit Grundpfandrechten belastet ist.

Am 26.11.2010 beantragte der Antragsgegner beim Amtsgericht Hamburg die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers. Die Abgabenrückstände beliefen sich auf 107.138,42 €. Die Abgabenrückstände seien noch nicht bestandskräftig festgesetzt, sie beruhten jedoch auf der erklärungsgemäßen Veranlagung des Vollstreckungsschuldners.

Mit Beschluss vom 07.01.2011 hat das Amtsgericht Hamburg das Verfahren an das Amtsgericht B verwiesen.

Mit Schreiben vom 09.12.2010 machte der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner geltend, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückzunehmen. Der Antragsgegner teilte den damaligen Bevollmächtigten ausweislich einer Aktennotiz telefonisch mit, dass angesichts der unklaren Verhältnisse von dem Insolvenzverfahren als einem geordneten, unabhängigen Verfahren nicht abgesehen werden solle. Auf ein gesondertes Schreiben sei verzichtet worden.

Am 19.01.2011 beantragte der Antragsteller bei Gericht, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers zurückzunehmen. Er, der Antragsteller, sei 75 Jahre alt und baue zurzeit mit einer Geschäftspartnerin ein neues Geschäft auf. In dieses Projekt habe er mittlerweile drei Jahre seiner Arbeitskraft und mehr als 350.000 € Eigenkapital investiert. Im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wären seine beruflichen Chancen unwiederbringlich zerstört sowie die eingebrachte Arbeitsleistung und das Eigenkapital unwiderruflich verloren. In seinem Alter bekäme er keine zweite Chance.

Die von dem Antragsgegner geltend gemachte Forderung sei zudem umstritten. Er habe inzwischen die Änderung des Einkommensteuerbescheides nach § 164 Abs. 2 AO beantragt. Die Steuerforderung beruhe auf der Auflösung des Unterschiedsbetrages nach § 5a Einkommensteuergesetz (EStG) anlässlich der Veräußerung seiner Beteiligung an der Schifffahrtsgesellschaft am 15.07.2007. Er habe in seiner Steuererklä...

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