Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollstreckung, einstweiliger Rechtsschutz, Erlass von Abgaben: Vollstrekkungsschutz - Verwendung von Ergebnissen aus einer unzulässigen Telefonüberwachung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Zulässigkeit der Umdeutung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Die aus einer unzulässigen Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse dürfen weder im Strafverfahren noch im Besteuerungsverfahren verwertet werden.

Ein unzulässiger Einspruch gegen die Abgabenfestsetzung kann als Antrag nach Art. 236 ZK zu werten sein.

 

Normenkette

FGO §§ 69, 114; StPO § 100a; AO § 393; ZK (ZK) Art. 236

 

Tatbestand

I.

Der Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Polen. Mit Steuer- und Zinsbescheid vom 09.05.2005 nahm der Antragsgegner den Antragsteller auf Zahlung von Einfuhrabgaben (Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) sowie Zinsen in Höhe von insgesamt € 24.587.740,55 in Anspruch. In der Begründung des Bescheides heißt es (lediglich), dass sich der Antragsteller nach den Ermittlungen des Zollfahndungsamts A der gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Steuerhinterziehung in mindestens 60 Fällen im Zeitraum vom 18.09.2001 bis 23.06.2003 schuldig gemacht habe, indem er gemeinschaftlich mit weiteren, gesondert verfolgten Personen unverzollte und unversteuerte Zigaretten aus Polen in das Zollgebiet der Gemeinschaft geschmuggelt habe, um diese über Deutschland nach Großbritannien weiter zu transportieren und dort abzusetzen. Bei jedem vorschriftswidrigen Verbringen seien mindestens 14.000 Stangen (2.800.000 Stück) Zigaretten eingeschmuggelt worden, so dass von einem Gesamtvolumen von mindestens 168.000.000 Stück Zigaretten ausgegangen werden müsse. Außerdem hätten nach diesem Zeitraum weitere Schmuggeltransporte nachgewiesen werden können, die sich aus der Abgabenberechnung ergäben.

Der Bescheid vom 09.05.2005 wurde dem Antragsteller am 31.08.2005 durch die polnischen Finanzbehörden bekannt gegeben. Der Antragsteller erhob gegen den Bescheid vom 09.05.2005 Einspruch, der am 11.10.2005 beim Antragsgegner einging. Mit Einspruchsentscheidung vom 04.07.2006 verwarf der Antragsgegner den Einspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 09.05.2005 als unzulässig. Gegen die Einspruchsentscheidung vom 04.07.2006 hat der Kläger keine Klage erhoben.

Am 04.09.2007 erhob der Antragsteller Klage mit dem Antrag, festzustellen, dass der Steuer- und Zinsbescheid des Antragsgegners vom 09.05.2005 nichtig sei. Dieser Klage gab der beschließende Senat mit Urteil vom 28.02.2008 (4 K 307/07) statt; auf die vom Antragsgegner eingelegte Revision hob der Bundesfinanzhof sodann mit Urteil vom 17.03.2009 (VII R 40/08) das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 28.02.2008 (4 K 307/07) auf und wies die Klage ab.

Im Mai 2009 erhielt der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers davon Kenntnis, dass die Staatsanwaltschaft B das Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hatte, weil die Erkenntnisse aus dem gegen den Antragsteller eingeleiteten Ermittlungsverfahren auf einer unzulässigen Telefonüberwachung beruhten und deshalb nicht verwertbar waren.

Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers wandte sich daraufhin in der Folgezeit an den Antragsgegner und beantragte die Aufhebung des Steuer- und Zinsbescheides vom 09.05.2005 bzw. den Erlass der Einfuhrabgaben, Hinterziehungszinsen und Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen, was der Antragsgegner mit Bescheid vom 25.01.2010 ablehnte. Über den hiergegen erhobenen Einspruch hat der Antragsgegner bislang nicht entschieden.

Der Antragsteller hat am 05.02.2010 um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Die Antragsschrift enthält den Antrag, die Vollziehung des Steuer- und Zinsbescheids vom 09.05.2005 bis zum Abschluss des Verfahrens auszusetzen. In dem Erörterungstermin vom 08.04.2010 hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers sodann erklärt, dass der Antrag aus der Antragsschrift in der Weise verstanden werden solle, dass dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben werde, von einer weiteren Vollstreckung des Steuer- und Zinsbescheides vom 09.05.2005 abzusehen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der gemäß § 114 Abs. 1 FGO zulässige (hierzu unter 1.) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat auch in der Sache Erfolg (hierzu unter 2.).

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO ist zulässig, insbesondere statthaft.

  • a) Zwar hat der Antragsteller in seiner Antragsschrift vom 05.02.2010 den Antrag formuliert, die Vollziehung des Steuer- und Zinsbescheides vom 09.05.2005 auszusetzen. Ein solcher Antrag wäre, darauf weist der Antragsgegner im Rahmen seiner Antragserwiderung zutreffend hin, unzulässig, da der Bescheid vom 09.05.2005 bereits bestandskräftig ist; ein Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO ginge mithin ins Leere. Allerdings hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Rahmen des Erör...

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