Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch eines polnischen Staatsbürgers – zwischenstaatliche Regelungen

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Der nach deutschem Recht (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) bei Nichtbestehen eines Anspruchs auf Familienbeihilfe in Polen gegebene Kindergeldanspruch eines im Inland selbständig tätigen und dort – wegen des Betriebs eines zulassungsfreien Handwerks – nicht rentenversicherungspflichtigen polnischen Staatsbürgers für seine in Polen wohnhaften Kinder ist nicht aufgrund der VO (EWG) 1408/71 ausgeschlossen oder aufgrund der Regelungen in Art. 12 Abs. 2, 76 VO (EWG) 1408/71 oder Art. 7 Abs. 1, 10 Buchst. a VO (EWG) 574/72 zu kürzen.
  2. Unerheblich ist dabei die Sozialversicherungspflicht im Heimatland aufgrund des Bezugs einer Militärrente.
 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1-2, § 63 Abs. 1 S. 3, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 1 Abs. 2 Nr. 1; FreizügigkeitsG/EU VO § 2 Abs. 2 Nr. 2; (EWG) Nr. 1408/71 Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 2, Art. 76 Abs. 1-2; VO (EWG) 574/72 Art. 7 Abs. 1, Art. 10 Buchst. a; SGB VI § 2 S. 1, § 4

 

Streitjahr(e)

2008

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 12.03.2010; Aktenzeichen III R 7/09)

 

Tatbestand

Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er ist in Deutschland als Trockenbauer selbständig tätig. Seit dem 01.07.2007 ist der Kläger in Deutschland freiwillig krankenversichert bei der „I- Versicherung”.

Die Ehefrau des Klägers und die beiden Kinder leben in Polen. Die Tochter – „B” – geb. am 01.02.1990 wird voraussichtlich im Jahr 2010 ihre Schulausbildung beenden. Der Sohn – „N” – ist am 05.08.2000 geboren.

Die Ehefrau des Klägers bezog für die Kinder vom 01.09.2005 bis 30.06.2006 (Bl. 28 ff. GA) Familienleistungen (mtl. 86 zl = ca. 20 EUR). Für den Zeitraum ab Juli 2006 hat die Ehefrau keine weiteren Anträge gestellt. Die Ehefrau hätte auch keine Familienleistungen mehr erhalten, weil die Einkünfte des Klägers zu hoch sind.

Die Familie lebt von den Einkünften des Klägers. Die Ehefrau ist Hausfrau und hat keine eigenen Einkünfte.

Der Kläger war in Polen beim Militär. Aus dieser Zeit bezieht der Kläger eine Militärrente, von der Krankenkassenbeiträge als Pflichtbeiträge durch das Rentenbüro der Streitkräfte „E-Stadt” einbehalten werden.

Am 27.11.2006 beantragte der Kläger Kindergeld für die beiden Kinder „B” und „N”.

Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.05.2007 ab.

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit der Einspruchsentscheidung vom 11.10.2007 als unbegründet zurück. Der Kläger unterliege der Sozialversicherungspflicht seines Heimatlandes und sei in Deutschland in der Rentenversicherung nicht pflichtversichert. Das deutsche Sozialrecht und damit auch das deutsche Kindergeldrecht finde daher keine Anwendung.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Er beruft sich auf Art. 13 ff. und 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Zudem seien die Anspruchsvoraussetzungen von § 62 Abs. 1 EStG erfüllt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ab Juli 2006 Kindergeld für 2 Kinder zu

gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt nunmehr die Auffassung, deutsches Sozialrecht und damit auch das deutsche Kindergeldrecht finde grundsätzlich Anwendung. Ein Kindergeldanspruch sei jedoch nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen, weil die in Polen lebende Ehefrau dem Kindergeld vergleichbare Leistungen beziehe.

In der mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin der Beklagten erklärt, sie gehe nunmehr ebenfalls davon aus, dass die Ehefrau des Klägers in Polen Familienleistungen lediglich bis Juni 2006 bezogen habe. Gleichwohl habe der Kläger aufgrund der VO (EWG) 1408/71 keinen Anspruch auf Kindergeld.

Das Gericht hat die Kindergeldakte beigezogen. Auf diese und auf die Schriftsätze der Beteiligten im vorliegenden Verfahren wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet, denn der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für die Kinder „B” und „N” ab Juli 2006 (§ 101 FGO).

1) Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf Kindergeld in Deutschland ist § 62 ff. EStG. Danach hat ein Elternteil Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Inland einen Wohnsitz hat und sich seine Kinder im Inland oder einem Land der Europäischen Union (EU) aufhalten und dort die weiteren Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 bis 5 EStG erfüllen.

a) Der Kläger hat im Inland seinen Wohnsitz und ist infolgedessen unbeschränkt steuerpflichtig.

b) Nach § 62 Abs. 2 EStG ergibt sich für den Kläger keine Einschränkung. Er genießt seit dem Beitritt Polens zur EU am 01.05.2004 gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) i.V. mit § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügigkeitsG/EU) Freizügigkeit (vgl. DA 62.4.4 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des EStG –DA-FamEStG- vom 05.04.2004, BStBl I 2004, 742).

c) Die beiden Kinder „B” und „N” sind berücksichtigungsfähige Kinder i.S. des § 63 EStG i.V. mit §...

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