Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufwendungen für Legasthenie-Behandlung der Tochter als außergewöhnliche Belastung. Nachträglich erstellte amtsärztliche Bescheinigung. Einkommensteuer 2000

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Aufwendungen unterhaltspflichtiger Eltern für die Behandlung eines Kindes, dessen Lesefähigkeiten und Rechtschreibfähigkeit beeinträchtigt sind, können als Krankheitskosten berücksichtigt werden, wenn die Legasthenie im konkreten Fall eine Krankheit darstellt und die Aufwendungen zum Zwecke ihrer Heilung oder Linderung getätigt worden sind.

2. Die seit einigen Jahren praktizierte Rechtsprechung des BFH, wonach – abgesehen von durch den BFH selbst festzulegenden Ausnahmefällen – die Notwendigkeit der Maßnahme stets durch ein vorheriges amtsärztliches Attest nachzuweisen ist, widerspricht zumindest in solchen Fällen dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung, in denen das Finanzgericht aus ihm zugänglichen Unterlagen, die indes nicht die vom BFH geforderte Qualität besitzen müssen, die Überzeugung ableiten kann, dass bestimmte Aufwendungen medizinisch notwendig sind. Es ist Sache des Finanzgerichts als Tatsacheninstanz zu entscheiden, ob im Einzelfall die von einem Verfahrensbeteiligten vorgelegten Nachweise ausreichen, um bei dem Gericht die erforderliche Überzeugungsbildung zu bewirken und so den angestrebten Erfolg herbeizuführen.

3. Wird von neutraler Seite, nämlich durch den zuständigen Amtsarzt, das Vorliegen der Legasthenie bescheinigt und bei Beschreitung des medizinischen Behandlungsweges die Behandlung selbst von einem medizinisch-therapeutisch ausgerichteten Team vollzogen, so ist nicht zweifelhaft, dass bereits vor Erstellung der amtsärztlichen Bescheinigung Krankheitskosten vorgelegen haben.

 

Normenkette

EStG 1997 § 33 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 03.03.2005; Aktenzeichen III R 64/03)

BFH (Urteil vom 03.03.2005; Aktenzeichen III R 64/03)

 

Tatbestand

Die Kläger machten im Streitjahr 2000 Aufwendungen i. H. von 8.650 DM für die Behandlung einer Lernbehinderung durch eine Lese- und Rechtschreibestörung (Legasthenie oder Dyslexie) der 1990 geborenen Tochter L als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG geltend. Es handelte sich im wesentlichen um Aufwendungen für die Diagnose und Behandlung durch das Institut für Hirnforschung & angewandte Technologie GmbH (Bl. 35 ff.) sowie ein Legasthenie-Training durch die Dipl. Psychologin Dr. Z.

Das Finanzamt erkannte diese Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid vom 29. Juni 2001 nicht als außergewöhnliche Belastung an. Hiergegen legten die Kläger am 10. Juli 2001 Einspruch ein. Sie reichten eine am 11. September 2001 erstellte amtsärztliche Bescheinigung ein (Rbh, Bl. 5), wonach ihre Tochter an einer Lese-Rechtschreibschwäche leide, die durch medizinische Behandlung oder pädagogische Maßnahmen gebessert werden könne. Bei L werde eine medizinische Behandlung praktiziert, die noch nicht die Anerkennung durch die Krankenkassen erfahren habe.

Mit Entscheidung vom 16. Oktober 2001 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Am 12. November 2001 reichten die Kläger Klage ein (Bl. 1).

Sie beantragen (sinngemäß, Bl. 2),

den Einkommensteuerbescheid 2000 vom 29. Juni 2001 in Form der Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2001 insoweit abzuändern, als die Kosten der Legastheniebehandlung i.H. von 8.678 DM als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

Die Kläger verweisen auf die amtsärztliche Bescheinigung. Ihres Erachtens ist die Rechtsprechung, wonach eine solche vor Beginn der Behandlung ausgestellt sein müsse, um den Steuerabzug zu gewährleisten, nicht überzeugend. Eine solche Einschränkung von Beweismitteln sähe die Rechtsordnung nicht vor. Es läge eine verfassungsrechtliche unzulässige Ungleichbehandlung vor, da in anderen Verfahrensordnungen eine derartige Einschränkung nicht vorgenommen werde.

Der Beklagte beantragt (Bl. 12),

die Klage als unbegründet abzuweisen.

Er verweist auf die ständige Rechtsprechung des BFH, auf die sich die Kläger hätten einstellen können.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet (Bl. 29, 32).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und auch begründet. Die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen für die Behandlung der Lese- und Rechtschreibschwäche ihrer Tochter L sind als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig.

1. Rechtsgrundlagen

1.1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Krankheitskosten erwachsen einem Steuerpflichtigen im Sinne dieser Vorschrift regelmäßig zwangsläufig, weil er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Sie gehören aber nur dann zu den nach § 33 EStG berück...

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