Entscheidungsstichwort (Thema)

„Neuheit” einer dem Sachbearbeiter aus der Bearbeitung eines anderen Steuerfalls bekannten Tatsache. Übersehen von Fahrtkostenersatz als offenbare Unrichtigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Tatsache, von der der Bearbeiter im Zusammenhang mit der Bearbeitung eines anderen Steuerfalls Kenntnis erlangt hat (hier die Höhe der eigenen Einkünfte des mit Unterhaltsleistungen unterstützten Sohnes), ist dem FA – vorbehaltlich einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht – nicht in einer die Änderung (des Einkommensteuerbescheids der Unterstützung leistenden Eltern) wegen neuer Tatsachen ausschließenden Weise als bekannt zuzurechnen.

2. Übersieht der Sachbearbeiter, dass der Steuerpflichtige von seinem Arbeitgeber pauschalversteuerten Aufwendungsersatz für die beruflich veranlassten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erhalten hat, obwohl dies aus der der Einkommensteuererklärung beigefügten Lohnsteuerkarte ohne weiteres ersichtlich war, so liegt eine offenbare Unrichtigkeit vor.

3. Die Anwendungspraxis und die ergangene Rechtsprechung zu § 129 AO begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Normenkette

AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, §§ 88, 129; GG Art. 20 Abs. 3

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 13.06.2012; Aktenzeichen VI R 85/10)

 

Tenor

Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Anfechtung eines Änderungsbescheides, mit dem der ursprüngliche Steuerbescheid zu Lasten der Klägerin geändert wurde.

Die Klägerin und ihr im Oktober 2007 verstorbener Ehemann, dessen Gesamtrechtsnachfolgerin sie als Alleinerbin ist, gaben ihre Einkommensteuer für 2000 am 22. Oktober 2001 beim Beklagten ab und wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 7. November 2001, der am 24. Oktober vom Sachbearbeiter freigegeben worden war, berücksichtigte der Beklagte dabei erklärungsgemäß Unterhaltsaufwendungen der Klägerin und ihres Ehemanns für den gemeinsamen Sohn in Höhe von 6.938 DM (ESt, Bl. 35). Dabei ging der Beklagte von einem eigenen Einkommen des Sohnes in Höhe von 7.762 DM aus, wie es die Klägerin und ihr Ehemann in ihrer Einkommensteuererklärung für 2000 angegeben hatten. Diesen Betrag hatten sie – ohne dies in der Steuererklärung kenntlich zu machen – aus den Einkünften des Sohnes von 31.047 DM abgeleitet, indem sie den Betrag durch vier dividiert hatten. Aus der Steuererklärung ergab sich aber, dass für den im Jahr 1972 geborenen Sohn kein Anspruch auf Kindergeld bestand, dass dieser Student mit Wohnsitz in Frankreich sei und mit seiner Ehefrau und zwei Kindern einen eigenen Haushalt unterhalte (ESt, Bl. 29 – Rückseite). Der Sohn der Klägerin, der in derselben Dienststelle von demselben Sachbearbeiter veranlagt wurde, hatte seinerseits seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr am 9. Oktober 2001 abgegeben und war mit Einkommensteuerbescheid vom 29. Oktober 2001 veranlagt worden, nachdem die abschließende Zeichnung durch den Sachbearbeiter am 12. Oktober 2001 erfolgt war.

Darüber hinaus legte der Beklagte bei der Einkommensteuerfestsetzung bei den Einkünften des Ehemanns aus nichtselbständiger Arbeit Werbungskosten in Form von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 7.392 DM zugrunde. Er berücksichtigte dabei nicht die auf der Lohnsteuerkarte des Ehemanns ausgewiesenen, von der Klägerin und ihrem Ehemann im Erklärungsvordruck jedoch nicht eingetragenen pauschalbesteuerten Arbeitgeberleistungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 7.020 DM (ESt, Bl. 30).

Am 19. Dezember 2002 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid, den er auf die §§ 129, 173 Abs. 1 Nr. 1 AO stützte. In diesem Bescheid wurde die Arbeitgeberleistung für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte berücksichtigt und die Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit entsprechend gekürzt. Außerdem erkannte der Beklagte keine Unterhaltsaufwendungen mehr an, da er das eigene Einkommen des Sohnes mit 31.047 DM berücksichtigte.

Hiergegen legten die Klägerin und ihr Ehemann am 20. Januar 2003 Einspruch ein (Rbh, Bl. 8 f.), den der Beklagte mit seiner Einspruchsentscheidung vom 19. August 2008 zunächst vollständig als unbegründet zurückwies (Rbh, Bl. 85 ff.).

Hiergegen richtet sich die am 9. Oktober 2008 erhobene Klage.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Änderung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids sei rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vorlägen. Denn die Höhe der Einkünfte ihres Sohnes sei dem Beklagten schon vor Erlass des Änderungsbescheides bekannt gewesen. Bereits vor der Bearbeitung ihrer Einkommensteuererklärung habe der derselbe Sachbearbeiter bereits die Einkommensteuererklärung des Sohnes für 2000 bearbeitet, die dieser knapp zwei Wochen zuvor eingereicht habe. Zudem habe der Beklagte die zu berücksichtigenden Einkünfte des Sohnes in Bezug auf das Existe...

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