Entscheidungsstichwort (Thema)

Herstellung einer Aufrechnungslage. Aufrechnungsverbot. vorzeitige Anmeldung der Lohnsteuer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Herstellung einer Aufrechnungslage führt zu einer inkongruenten Deckung, wenn der Aufrechnende vorher keinen Anspruch hatte, der die Aufrechnungslage entstehen ließ.

2. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO verlangt lediglich, dass die Rechtshandlung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, dass sie irgendeine Voraussetzung für die Aufrechnungsmöglichkeit des Insolvenzschuldners geschaffen hat und dass die Rechtshandlung die Insolvenzgläubiger benachteiligt.

3. Zu Lohnsteuerverbindlichkeiten führende Aufrechnungslagen stellen Rechtshandlungen dar, unterliegen der Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO und lösen damit ein Aufrechnungsverbot (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO) aus, selbst wenn die Lohnsteuer vorzeitig angemeldet worden ist und wegen des früheren Zuflusses des Arbeitslohns entstand, obgleich die für den Monat zu erbringende Arbeitsleistung (als relevante Rechtshandlung) noch nicht erbracht worden war.

 

Normenkette

InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1; AO § 218 Abs. 2; EStG § 38 Abs. 2 S. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.04.2023; Aktenzeichen VII R 35/19)

 

Tenor

Der Abrechnungsbescheid des Beklagten vom 08. Mai 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. September 2017 wird dahingehend geändert, dass ein Auszahlungsbetrag in Höhe von 40.278,91 EUR festgestellt wird.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden zu 15 % der Klägerin und zu 85 % dem Beklagten auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die insolvenzrechtliche Zulässigkeit einer Aufrechnung des Beklagten. Die Klägerin ist die Insolvenzverwalterin über das Vermögen der B… AG. Auf den Antrag der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – BaFin – vom 25. März 2015 wurde über das Vermögen der B… AG durch Beschluss des Amtsgerichts C… vom 27. März 2015 zunächst die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet. Durch Beschluss des Amtsgerichts C… vom 01. Juli 2015 (Az.: …/15) wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Zur Insolvenzverwalterin wurde die Klägerin bestellt.

Die B… AG beschäftigte Arbeitnehmer und meldete am 06. März 2015 für den Monat März 2015 folgende Lohnsteuerbeträge an:

Lohnsteuer März 2015

59.550,05 EUR

Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer März 2015

3.202,46 EUR

Evangelische Kirchensteuer zur Lohnsteuer März 2015

623,22 EUR

Römisch-katholische Kirchensteuer zur Lohnsteuer März 2015

600,66 EUR

Summe

63.976,39 EUR

Die gesamten Nettolöhne in Höhe von 133.238,89 EUR nebst vermögenswirksamer Leistungen (883,00 EUR) sowie einer Barlohnumwandlung (245,20 EUR) überwies die B… AG am 11. März 2015 von ihrem Geschäftsgirokonto bei der D… Bank. Die angemeldete Lohnsteuer beglich die B… AG hingegen nicht.

Mit Bescheid vom 27. Mai 2016 setzte der Beklagte die Körperschaftsteuer für 2014 auf 0 EUR fest. Nach Abzug der im Jahr 2014 geleisteten Vorauszahlungen ergab sich ein Guthaben in Höhe von 38.517 EUR (Körperschaftsteuer) sowie 2.118,31 EUR (Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer). Mit Umbuchungsmitteilung vom 26. Mai 2016 buchte der Beklagte die Guthaben auf die Lohnsteuerverbindlichkeiten wie folgt um:

Körperschaftsteuer 2014 in Höhe von

38.517,00 EUR

auf

Lohnsteuer März 2015

./. 33.734,26 EUR

Römisch-katholische Kirchensteuer zur Lohnsteuer März 2015

./. 600,66 EUR

Evangelische Kirchensteuer zur Lohnsteuer März 2015

./. 623,22 EUR

Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer März 2015

./. 3.202,46 EUR

Umsatzsteuer 2014

./. 356,40 EUR

sowie Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2014 in Höhe von

2.118,31 EUR

auf

Lohnsteuer März 2015

./. 2.118,31 EUR.

Die Umbuchungsmitteilung ging bei der Klägerin am 31. Mai 2016 ein.

Bereits am 31. Mai 2016 erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten, dass sie die Aufrechnung für unzulässig halte (§§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 131 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung – InsO –) und bat um Überweisung des Guthabens zur Masse in Höhe von 40.635,31 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr seit dem 01. Juli 2015.

Der Beklagte erklärte mit Schreiben vom 07. Juni 2016, dass nach seiner Auffassung keine anfechtbare Rechtshandlung gegeben sei. Im Übrigen sei unklar, warum die Klägerin eine Verzinsung fordere, obgleich die Körperschaftsteuerforderungen erst zum 20. Mai 2016 fällig geworden seien. Die Klägerin blieb bei ihrer Rechtsauffassung und erläuterte mit Schreiben vom 20. Juli 2016 ihren Rechtsstandpunkt. Mit Schreiben vom 07. März 2017 erklärte der Beklagte nochmals, dass der Bundesfinanzhof – BFH – eine Aufrechnung nur hinsichtlich der Umsatzsteuer beanstandet habe. Dem Antrag kö...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge