rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Verlängerte Kindergeld-Festsetzungsfrist infolge Steuerverkürzung bei Streit über die Absendung bzw. den Erhalt einer Email, mit der die Eltern das Ende der Schulausbildung und der Kindergeldanspruchsberechtigung mitgeteilt haben

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Da für das Kindergeld keine Steuererklärung usw. i. S. d. § 170 Abs. 2 S. 1 AO abzugeben ist und eine Mitteilung nach § 68 EStG keine Anzeige i.S. des § 170 Abs. 2 S. 1 AO darstellt, beginnt die grundsätzlich vierjährige Festsetzungsfrist insoweit gem. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Kindergeldanspruch entstanden ist.

2. Die Voraussetzungen für eine zumindest leichtfertige Steuerverkürzung und eine deswegen auf fünf Jahre verlängerte Festsetzungsfrist liegen nicht vor, wenn nach Ablauf der Schulausbildung und durch den Beginn des Grundwehrdienstes die Voraussetzungen für eine weitere Kindergeld-Festsetzung für den volljährigen Sohn objektiv nicht mehr vorgelegen haben, die Mutter die Familienkasse per Email über das Ende der Schulausbildung und den sich daran unmittelbar anschließenden Grundwehrdienst informiert hat, die Familienkasse jedoch in der Annahme einer weiteren Berufsausbildung weiter vorläufig Kindergeld festgesetzt und die Eltern zur Vorlage von entsprechenden Nachweisen aufgefordert hat und wenn diese Kindergeldfestsetzung trotz des Unterbleibens einer Vorlage von Ausbildungsnachweisen und jeglicher Antwort seitens der Eltern nicht wieder aufgehoben worden ist.

3. Ist die Email (siehe 2.) nicht von den Eltern ausgedruckt worden bzw. zu den Akten der Familienkasse gelangt und können aufgrund des langen Zeitablaufs und der schon erfolgten Löschung der streitigen Email weder die Absendung durch die Eltern noch der Eingang auf dem Emailkonto der Familienkasse nachgeprüft bzw. verifiziert werden, so trägt die Familienkasse die Beweislast für das Vorliegen einer Steuerverkürzung. Die Ungewissheit über die Absendung und den Erhalt der Email geht insbesondere dann zu Lasten der Familienkasse, wenn die Eltern die Email zwar nicht ausgedruckt, aber die Absendung auf einem Anfrageschreiben der Familienkasse vermerkt haben, wenn sie auch sonst Anfragen der Familienkasse sofort beantwortet und die Erledigung auf den jeweiligen Schreiben vermerkt haben und wenn andererseits der Familienkasse bei der Bearbeitung des Kindergeldfalles nachweislich zahlreiche Fehler unterlaufen sind, so dass es auch von daher nicht ausgeschlossen erscheint, dass die Email in der Familienkasse schlicht nicht ausgedruckt und/oder der Kindergeldakte zugeordnet wurde.

4. Sollte die Email auf dem elektronischen Übertragungsweg verloren gegangen sein, würde das ebenfalls einen Vorsatz oder eine Leichtfertigkeit der Eltern ausschließen.

 

Normenkette

EStG § 70 Abs. 1 Sätze 2, 1, § 31 S. 3, § 68; AO § 155 Abs. 4, § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 S. 1, § 370 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 378

 

Tenor

Der Bescheid über Kindergeld Juli 2010 bis November 2010 vom 29.07.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.08.2015 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte befugt war, für den Streitzeitraum die zuvor bestehende Kindergeldfestsetzung aufzuheben und ausgezahltes Kindergeld zurückzufordern.

Die Klägerin ist die Mutter des am 21.06.1990 geborenen B…. Von dessen Vater, C…, lebte die Klägerin jedenfalls seit 2003 getrennt. B… lebte im Haushalt der Klägerin. Nachdem das Kindergeld für B… zunächst dem Vater gezahlt worden war, wurde es auf Antrag der Klägerin mit Zustimmung des Vaters ab Oktober 2003 aufgrund einer internen Verfügung vom 04.11.2003 (Bl. 13 Kindergeldakte –KGA–) der Klägerin gezahlt.

Am 13.05.2008 beantragte die Klägerin die Weiterzahlung des Kindergelds und gab an, dass sich B… voraussichtlich bis August 2010 in seiner Schulausbildung befinden werde und legte eine Bescheinigung der Schule vor, nach der der Schulbesuch voraussichtlich bis zum 31.07.2010 dauern werde. In der Folge erging am 15.05.2008 eine interne Kindergeldverfügung/Kassenanordnung, nach der das Kindergeld bis Juni 2010 weitergezahlt wurde. Ein dadurch ausgelöster Kindergeldbescheid ist nicht aktenkundig.

Am 03.05.2010 wies die seinerzeit für die Klägerin zuständige Familienkasse D… die Klägerin auf das bevorstehende Ende der Schulausbildung und die Möglichkeiten der Weiterbewilligung von Kindergeld hin. Die Familienkasse gehe jedoch davon aus, dass das Kind eine weitere Ausbildung innerhalb von vier Monaten nach dem Ende der Schulausbildung aufnehmen werde. Das Kindergeld werde deshalb zunächst bis einschließlich November 2010 weitergezahlt. Für den Fall, dass das Kind nach dem Ende der Schulausbildu...

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