rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren eines Steuerpflichtigen, der selbst Rechtsanwalt ist

 

Leitsatz (redaktionell)

Wird ein Rechtsanwalt wegen der Beihilfe zur Steuerhinterziehung als Haftungsschuldner durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen, so kann die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären sein, wenn die notwendige Objektivität für eine sachgerechte Prüfung der Sach- und Rechtslage in Hinblick auf eine emotionale Betroffenheit durch den drohenden Ansehensverlust im beruflichen Bereich gefährdet ist.

 

Normenkette

FGO § 139 Abs. 3 S. 3

 

Gründe

Der Antrag ist begründet. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten war vom Senat gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären.

Die Frage, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten im außergerichtlichen Verfahren notwendig war, ist vom Standpunkt eines verständigen Bürgers aus zu beurteilen (BFH-Beschluss vom 21.12.1967 VI B 2/67, BStBl II 1968, 181; BVerwG-Urteile vom 26.01.1996 8 C 15/95, Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 18 und vom 22.01.1997 C 39/95, Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 39; Tipke/Kruse, AO und FGO, 16. Aufl., § 139 FGO Rdnr. 130). Hierbei ist vor allem darauf abzustellen, ob es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen zuzumuten war, das Einspruchsverfahren ohne Beistand selbst zu führen (BVerfG-Beschluss vom 27.06.1963 2 BvR 687/62, BVerfGE 16, 231, 235; BFH-Beschluss vom 21.07.1977 IV B 3/73, BStBl II 1977, 767; FG Bremen, Beschluss vom 21.03.1994 1 94 008 KG, EFG 1994, 846; BVerwG-Urteil vom 26.02.1993 8 C 68/91 Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 34; BVerwG-Beschluss vom 15.03.1999 8 B 225/98, Buchholz 428 § 38 VermG Nr. 4; Schwarz in Hübschmann-Hepp-Spitaler, AO und FGO, 10. Aufl., § 139 FGO Rdnr. 455).

Auch von einem Rechtsanwalt ist nicht stets zu fordern, eine eigene Rechtssache persönlich zu vertreten (BVerwG-Beschluss vom 06.05.1982 7 B 81/82, Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 17; FG Baden-Württemberg. Beschluss vom 04.10.1988 II K 523/83, EFG 1989, 130). Zumutbarkeit, auf die es in diesem Zusammenhang maßgeblich ankommt, ist nicht allein eine Frage mehr oder minder spezieller Rechtskenntnisse, sondern ebenso eine der Objektivität, die durch die Voreingenommenheit des von der hoheitlichen Maßnahme unmittelbar selbst betroffenen Rechtsanwalts beeinträchtigt sein kann (BVerwG-Urteil vom 16.10.1980 8 C 10/80, BVerwGE 61, 100).

Dies gilt insbesondere für den vorliegenden Streitfall. Prüfungsmaßnahmen der Steuerfahndungsstelle gegen mehrere Personen führten u.a. dazu, dass gegen den Kl ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde und nach dessen Einstellung gegen eine Geldauflage ein auf den Vorwurf der Beihilfe zur Steuerhinterziehung gestützter Haftungsbescheid des beklagten FA erging. Der Kl verfügt zwar über profunde Kenntnisse im Steuerstrafrecht. Der drohende Ansehensverlust im beruflichen Bereich war jedoch so groß, dass die für eine sachgerechte Prüfung der Sach- und Rechtslage notwendige Objektivität schon im Hinblick auf die emotionale Betroffenheit gefährdet war. Es war daher nicht nur vernünftig, sondern sogar geboten, einen Kollegen zuzuziehen, der ihn sowohl vor der Staatsanwaltschaft als auch anschließend vor der Finanzbehörde vertrat.

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Fundstellen

EFG 2001, 584

NWB-DokSt 2001, 761

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