Entscheidungsstichwort (Thema)

Richtlinien 76/207/EWG, 97/80/EG und 2002/73/EG. Zugang zur Berufsausbildung. Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Ablehnung einer Bewerbung. Zugang eines Bewerbers für eine Berufsausbildung zu Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber

 

Beteiligte

Kelly

Patrick Kelly

National University of Ireland (University College, Dublin)

 

Tenor

1. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist dahin auszulegen, dass er einem Bewerber für eine Berufsausbildung, der meint, dass ihm der Zugang zu dieser Ausbildung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verwehrt worden ist, keinen Anspruch auf im Besitz des Veranstalters dieser Ausbildung befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber für diese Ausbildung verleiht, um ihn in die Lage zu versetzen, gemäß dieser Bestimmung „Tatsachen glaubhaft [zu] machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen”.

Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verweigerung von Informationen durch einen Beklagten im Rahmen des Nachweises solcher Tatsachen die Verwirklichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels beeinträchtigen und auf diese Weise insbesondere deren Art. 4 Abs. 1 ihre praktische Wirksamkeit nehmen kann.

2. Art. 4 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen oder Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207 sind dahin auszulegen, dass sie einem Bewerber für eine Berufsausbildung keinen Anspruch auf Einsichtnahme in im Besitz des Veranstalters dieser Ausbildung befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber um diese Ausbildung verleihen, wenn dieser Bewerber meint, keinen Zugang zu dieser Ausbildung nach den gleichen Kriterien wie die anderen Bewerber gehabt zu haben und im Sinne von Art. 4 aufgrund des Geschlechts diskriminiert worden zu sein, oder wenn dieser Bewerber rügt, im Sinne von Art. 1 Nr. 3 aufgrund des Geschlechts in Bezug auf den Zugang zu dieser Berufsausbildung diskriminiert worden zu sein.

3. Wenn sich ein Bewerber für eine Berufsausbildung für die Einsichtnahme in im Besitz des Veranstalters dieser Ausbildung befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber auf die Richtlinie 97/80 berufen könnte, kann dieser Einsichtnahmeanspruch durch die Bestimmungen des Unionsrechts über die Vertraulichkeit berührt werden.

4. Die in Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgesehene Pflicht ist nicht unterschiedlicher Art je nachdem, ob in einem Mitgliedstaat ein Rechtssystem besteht, in dem der Verhandlungsgrundsatz gilt, oder ein Rechtssystem, in dem der Untersuchungsgrundsatz gilt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court (Irland) mit Entscheidung vom 29. Januar 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Februar 2010, in dem Verfahren

Patrick Kelly

gegen

National University of Ireland (University College, Dublin)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. Arabadjiev, A. Rosas (Berichterstatter) und U. Lõhmus; sowie der Richterin P. Lindh,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Kelly, vertreten durch sich selbst,
  • der National University of Ireland (University College, Dublin), vertreten durch M. Bolger, SC, instruiert durch E. O'Sullivan, Solicitor,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Unionsrechts, insbesondere von Art. 4 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40), Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (ABl. 1998, L 14, S. 6) und Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207 (ABl. L 269, S. 15).

Rz. 2

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