Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialpolitik. Schutz von Schwangeren. Richtlinie 92/85/EWG. Art. 10. Verbot der Kündigung vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs. Schutzzeit. Entscheidung, einer Arbeitnehmerin während dieser Schutzzeit zu kündigen. Mitteilung und Durchführung der Kündigungsentscheidung nach Ablauf dieser Zeit. Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer. Richtlinie 76/207/EWG. Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und Art. 6. Unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Sanktionen
Beteiligte
Société d'architectes Hoet + Minne SPRL |
Tenor
1. Art. 10 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 89/391/EWG) ist dahin auszulegen, dass er nicht nur die Mitteilung einer auf der Schwangerschaft und/oder der Geburt eines Kindes beruhenden Kündigungsentscheidung während der in Nr. 1 dieser Vorschrift vorgesehenen Schutzzeit verbietet, sondern auch untersagt, dass vor Ablauf dieser Zeit Maßnahmen in Vorbereitung einer solchen Entscheidung getroffen werden.
2. Eine auf der Schwangerschaft und/oder der Geburt eines Kindes beruhende Kündigungsentscheidung verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, wann immer diese Kündigungsentscheidung auch mitgeteilt wird, und selbst dann, wenn sie nach Ablauf der in Art. 10 der Richtlinie 92/85 vorgesehenen Schutzzeit mitgeteilt wird. Da eine solche Kündigungsentscheidung sowohl gegen Art. 10 der Richtlinie 92/85 als auch gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207 verstößt, muss die von dem Mitgliedstaat nach Art. 6 der letztgenannten Richtlinie zur Ahndung des Verstoßes gegen die genannten Bestimmungen gewählte Maßnahme mindestens der Maßnahme entsprechen, die im nationalen Recht zur Umsetzung der Art. 10 und 12 der Richtlinie 92/85 vorgesehen ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal du travail de Bruxelles (Belgien) mit Entscheidung vom 6. November 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 17. November 2006, in dem Verfahren
Nadine Paquay
gegen
Société d'architectes Hoet + Minne SPRL
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter U. Lõhmus, J. N. Cunha Rodrigues, A. Ó Caoimh (Berichterstatter) und der Richterin P. Lindh,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. van Beek als Bevollmächtigten,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) und von Art. 10 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 348, S. 1).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Paquay (im Folgenden: Klägerin) und der Société d'architectes Hoet + Minne SPRL (im Folgenden: Beklagte) wegen der Kündigung der Klägerin.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Die Richtlinie 76/207
3 Die Richtlinie 76/207 hat nach ihrem Art. 1 zum Ziel, dass in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen verwirklicht wird.
4 Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207 beinhaltet dieser Grundsatz, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf.
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