Rz. 89

[Autor/Stand] Anders als andere Steuerarten – etwa die Umsatzsteuer oder die Einkommensteuer – ist die Erbschaftsteuer durchaus länger unbeeinflusst vom Europarecht geblieben.

 

Rz. 90

[Autor/Stand] Das Europarecht geht dem deutschen Erbschaftsteuerecht vor. Eine Normenhierarchie im klassischen Sinne besteht allerdings nicht. Deshalb ist eine gemeinschaftswidrige Vorschrift nicht nichtig, sondern nur unanwendbar.[3] Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts ist auch von den Finanzbehörden zu beachten.[4] Im Ergebnis sind die Entscheidungen des EuGH für sämtliche Mitgliedstaaten bindend.[5]

 

Rz. 91

[Autor/Stand] Auswirkung auf das deutsche Steuerrecht haben die Grundfreiheiten des EU-Vertrags, vor allem die Vorschriften über

  • die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 39 EGV),
  • die Niederlassungsfreiheit zur Aufnahme und Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit, darunter die Gründung und Leitung von Unternehmen, insb. von Gesellschaften, für Staatsangehörige und für Gesellschaften (Art. 43, 48 EGV),
  • die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs (Art. 49 ff. EGV),
  • die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 ff. EGV).
 

Rz. 92

[Autor/Stand] Mit der Entscheidung in der Rechtssache "Barbier"[8] läutete der EuGH den Bedeutungswandel des Europarechts für das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht ein. In diesem Verfahren hatte der EuGH das niederländische Erbschaftsteuergesetz insoweit für europarechtswidrig erklärt, als dieses Regelungen enthielt, die je nach Wohnsitz der beteiligten Person innerhalb oder außerhalb der Niederlande, aber innerhalb eines EU-Staates zu unterschiedlichen Steuerfolgen führten. Der EuGH begründet dieses Ergebnis damit, dass die Regelungen eine gegen den EGV verstoßende Beschränkung des europäischen Kapitalverkehrs bedeuteten und darüber hinaus auch die Niederlassungsfreiheit beeinträchtigten. Eine sachliche Rechtfertigung konnte der EuGH nicht erkennen. Insb. betrachtete er das Interesse am Steueraufkommen als kein ausreichendes Rechtsgut, welches der Europarechtswidrigkeit der jeweiligen Norm entgegenstehe.[9]

 

Rz. 93

[Autor/Stand] Allein seit 2003 hat der EuGH, der sich bis dahin mit Fragen der grenzüberschreitenden Erbschaft- und Schenkungsbesteuerung überhaupt nicht befassen musste, bis zum Jahr 2012 mehr als zehn Fälle zu entscheiden gehabt.[11] Hintergrund waren einzelne Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV. In mehreren Verfahren äußerte sich der EuGH zu den unterschiedlichen deutschen Rechtslagen hinsichtlich der persönlichen Freibeträge nach § 16 ErbStG in Fällen beschränkter Steuerpflicht (s. Anm. 32).[12] Als dem Unionsrecht nicht entgegenstehend sah der EuGH die Regelung des § 27 ErbStG an, die bei einem Erwerb von Todes wegen durch Personen der Steuerklasse I eine Ermäßigung der Steuer vorsieht, wenn der Nachlass Vermögen enthält, welches in den letzten zehn Jahren vor dem Erwerb bereits von Personen der Steuerklasse I erworben worden ist, und wenn für diesen Vorerwerb Erbschaftsteuer in Deutschland festgesetzt wurde; eine Ermäßigung hingegen nicht in Betracht kommt, sofern die die Steuer in einem anderen Land festgesetzt worden ist.[13] Gleichfalls als unionskonform erkannte der EuGH § 33 ErbStG.[14] Gemäß § 33 ErbStG hat derjenige, der sich geschäftsmäßig mit der Verwahrung oder Verwaltung fremden Vermögens befasst, diejenigen in seinem Gewahrsam befindlichen Vermögensgegenstände und diejenigen gegen ihn gerichteten Forderungen, die beim Tod eines Erblassers zu dessen Vermögen gehörten oder über die dem Erblasser zur Zeit seines Todes die Verfügungsmacht zustand, dem für die Verwaltung der Erbschaftsteuer zuständigen FA schriftlich anzuzeigen. Ein Kreditinstitut mit Sitz im Inland muss dabei auch die Vermögensgegenstände eines inländischen Erblassers mitteilen, die in einer unselbständigen Zweigstelle des Kreditinstituts in einem anderen Mitgliedstaat verwahrt oder verwaltet werden. Gegen die Aufforderung zur Anzeige von Vermögensanlagen eines inländischen Erblassers bei einer Zweigniederlassung im Inland, bestehen keine unionsrechtlichen Bedenken.[15]

 

Rz. 94

[Autor/Stand] Nach wie vor nicht abschließend entschieden für das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht ist vom EuGH das Verhältnis zwischen Kapitalverkehrsfreiheit und Niederlassungsfreiheit. Für das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht sind die Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 63 Abs. 1 AEUV und die Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV von besonderer Bedeutung. Die Niederlassungsfreiheit gehört zur Grundfreiheit der Personenfreizügigkeit in der europäischen Union. Sie berechtigt EU-Bürger, sich in jedem Mitgliedstaat der europäischen Union niederzulassen. Sie ist zudem anwendbar auf juristische Personen, wenn diese nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet worden sind und sich ihre Hauptniederlassung ebenfalls in einem Mitgliedstaat befindet. Die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 AEUV verbietet alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern. Nur...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge