Tz. 37

Stand: EL 90 – ET: 06/2017

Häufig wurde in den dt Entstrickungstatbeständen und damit auch in § 12 Abs 1 KStG ein Verstoß gegen Unionsrecht, im betrieblichen Bereich vorrangig gegen die Niederlassungsfreiheit gem Art 49 AEUV gesehen (zu früher vertretenen Ansichten s zB Schaumburg/Häck, in Schaumburg, Internationales StR, 4. Aufl, Rn 20.23 mwNachw). Hintergrund ist insbes die Entsch des EuGH in der Rs C-9/02 (s Urt des EuGH v 11.04.2003, de Lasteyrie de Saillant, Slg 2004, I 2409), in dem die Sofortbesteuerung iR einer französischen Wegzugsbesteuerungsnorm vom EuGH für unionsrechtswidrig erklärt wurde.

 

Tz. 38

Stand: EL 90 – ET: 06/2017

Mittlerweile hat sich aber die Rspr des EuGH fortentwickelt und seit 2016 geht nicht zuletzt der EU-Gesetzgeber von keinem Primärrechtsverstoß aus, wenn die Entstrickungsbesteuerung mit einer ratierlichen Stundung (s § 4g, § 36 Abs 5 EStG) verbunden wird. So jedenfalls die aktuelle Regelung in Art 5 ATAD-RL, die eine der heutigen dt Rechtslage sehr weitgehend entspr Entstrickungsbesteuerung in der EU vorschreibt (näher s Tz 46b ff). Diese rechtliche Einordnung wird mittlerweile auch in der Fach-Lit weitgehend und zumindest im Grundsatz so vertreten (zB s Hennrichs, in Tipke/Lang, 22. Aufl, § 9 AO Rn 477; s Musil, in H/H/R, § 4 EStG Rn 225f und ders, EuZW 2017, 180, 187; s Schaumburg/Häck, in Schaumburg, Internationales StR, 4. Aufl, Rn 20.23; in der Tendenz krit aber s Kahle/Eichholz/Kindlich, Ubg 2016, 132).

Hintergrund dieser mittlerweile als weitestgehend abgeschlossen zu bezeichnenden Entwicklung sind eine Reihe von EuGH-Urt, in denen der EuGH die Besteuerungsrechte der Mitgliedsstaaten gestärkt hat. Am Anfang dieser Entwicklung dürfte das Urt in der Rs C-446/03 (s Urt des EuGH v 13.12.2005, Marks & Spencer, Slg 2005, I-10866) stehen, in dem der EuGH den Rechtfertigungsgrund der "Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsrechte"entwickelte, der eine Regelung im Grundsatz rechtfertigt, die sicherstellen will, dass die in einem EU-Mitgliedstaat entstandenen Wertsteigerungen eines WG auch in diesem EU-Mitgliedstaat besteuert werden. Dieses zur grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung ergangene Urt hatte in der Folge unmittelbare Auswirkung auch auf die unionsrechtliche Beurteilung der Sofortbesteuerung im Fall der Entstrickung (s Musil, in H/H/R, § 4 EStG Rn 225; s Kok, ECTaxReview 2011, 62; s Schwenke, DStZ 2007, 235, 245). Dies wurde vom EuGH in seinem grundlegenden Urt in der Rs C-371/10 (s Urt des EuGH v 29.11.2011, National Grid Indus, Slg 2011, I-12273) für einen niederländischen Fall des Wegzugs einer Kö sowie iR verschiedener ähnlich gelager ter Vertragsverletzungsklagen (s Urt des EuGH v 06.09.2012, C-38/10, Kommission/Portugal, IStR 2012, 763; v 25.04.2013, C-64/11, Kommission/Spanien, IStR 2013, 393 [Tenor mit Anm Mitschke]; v 18.07.2013, C-261/11, Kommission/Dänemark, ISR 2013 [Tenor mit Anm Müller];v 31.01.2013, C-301/11, Kommission/NL, ABl 2013 C 86/4 [Tenor]; v. 21.12.2016, C-503/14, Kommission/Portugal, IStR 2017, 69 [mit Anm Mitschke]) sowie den Vorabentscheidungsersuchen in der Rs C-164/12 (s Urt des EuGH v 23.01.2014, DMC Beteiligungsgesellschaft mbH, IStR 2014, 106 mit Anm Mitschke; krit zu diesem Urt s Linn, IStR 2014, 136; dagegen s Mitschke, IStR 2014, 136) und in der Rs C-657/13 (s Urt des EuGH v 21.05.2015, Verder LabTec, DStR 2015, 1166; dazu zB s Kahle/Beinert, FR 2015, 585) bestätigt.

Man wird dies nunmehr als gefestigte EuGH-Rspr ansehen können. Wobei uE allerdings nicht ganz auszuschließen ist, dass sich aufgrund aktueller Entwicklungen in der EuGH-Rspr zur Beschränkungsdogmatik in St-Fällen auch Auswirkungen auf die unionsrechtliche Beurteilung der Entstrickungsbesteuerung ergeben können. So hat der EuGH aktuell im Zusammenhang mit Fragen zur grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung entschieden, dass die Nichtberücksichtigung von Ausl-Verlusten im Inl keine Beschränkung der Grundfreiheiten darstellt, wenn sowohl Gewinne als auch Verluste in D nicht besteuert werden (sog Symmetriethese). Der EuGH begründet dies damit, dass insoweit ein grenzüberschreitender und ein inl Sachverhalt von Vornherein nicht vergleichbar seien (s Urt des EuGH v 17.07.2014, C- 48/13, Nordea, IStR 2014, 563 mit Anm Mitschke, und s Urt des EuGH v 17.12.2015, C- 388/14, Timac Agro, IStR 2016, 74 mit Anm Schiefer sowie Benecke/Staats). Insbes im Lichte des EuGH-Urt Timac Agro (s Urt des EuGH v 17.12.2015, C-388/14, IStR 2016, 74 mit Anm Schiefer sowie Benecke/Staats) ließe sich zB bereits die Vergleichbarkeit einer grenzüberschreitenden Neuzuordnung von WG mit einer inl Neuzuordnung von WG verneinen, weil die Besteuerungsrechte des Wegzugsstaats nur im ersteren Fall beschr werden können (s hierzu auch Benecke/Staats, IStR 2016, 74, 83). Insofern stellte sich dann nicht mehr die Frage der Stundung der St bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit (hierzu sogleich).

 

Tz. 39

Stand: EL 90 – ET: 06/2017

IR der Verhältnismäßigkeitsprüfung stellt der EuGH in seinem grundlegenden ...

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