Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Billigkeitserlass wegen Steuerverwendung für Verteidigungsetat

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Einzelne kann sich der Mitfinanzierung von Staatstätigkeiten, die er aus Gewissensgründen ablehnt nicht entziehen und einen Anspruch auf gewissenskonforme Verwendung seiner Steuern geltend machen.

2. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Finanzbehörde im Billigkeitsverfahren eine Steuerherabsetzung wegen der Art der Steuerverwendung im Fall der Berufung auf die Freiheit des Gewissens ablehnt.

 

Normenkette

GG Art. 4 Abs. 1, Art. 110 Abs. 2; AO 1977 § 227

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 09.01.2002; Aktenzeichen III B 81/01)

Sächsisches FG (Urteil vom 21.02.2001; Aktenzeichen 5 K 2088/99)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, ohne dass es auf eine Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ankommt.

 

Tatbestand

I.

Der Beschwerdeführer erstrebt Herabsetzung, Erlass oder zinslose Stundung seiner Einkommensteuerschuld in Höhe von 10,5 %, was dem Anteil des Verteidigungsetats am Gesamthaushalt für das Streitjahr im Ausgangsverfahren entspreche. Es verletze sein Gewissen, wenn er für Rüstung und Militär sowie für einen möglichen Krieg einen finanziellen Beitrag leiste. Er sei als Christ an das Evangelium gebunden, das die Friedensstifter selig preise. Eine Bereicherung strebe er nicht an, da er den entsprechenden Betrag dem Ausbildungsprojekt für zivile Friedenskräfte des Landes Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stellen werde.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (BVerfGE 90, 22 ≪25 ff.≫; 96, 245 ≪250≫). Sie ist jedenfalls unbegründet.

Dadurch, dass dem Beschwerdeführer sowohl ein Teilerlass in Höhe von 10,5 % seiner Einkommensteuerschuld oder eine zinslose Stundung dieses Betrages als auch die Erlaubnis versagt worden ist, diesen Teil zugunsten eines Friedensprojektes zu zahlen, wird er in seinem Grundrecht der Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG nicht verletzt. Der Einzelne kann sich der Mitfinanzierung von Staatstätigkeiten, die er aus Gewissensgründen ablehnt, nicht entziehen und einen Anspruch auf gewissenskonforme Verwendung seiner Steuern geltend machen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. August 1992 – 2 BvR 478/92 –, NJW 1993, S. 455 ≪455 f.≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juni 2003 – 2 BvR 1775/02 –, NJW 2003, S. 2600).

Die von Art. 4 Abs. 1 GG erfasste Gewissensfreiheit umfasst nicht nur die Freiheit, ein Gewissen zu haben, sondern grundsätzlich auch die Freiheit, von der öffentlichen Gewalt nicht verpflichtet zu werden, gegen Gebote und Verbote des Gewissens zu handeln (vgl. BVerfGE 78, 391 ≪395≫; stRspr).

Es kann dahinstehen, ob der Beschwerdeführer – wie das Finanzgericht angenommen hat – eine ernste sittliche, das heißt an den Kategorien von “Gut” und “Böse” orientierte Entscheidung, die er als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfahren hat (vgl. BVerfGE 12, 45 ≪55≫), getroffen hat. Auch kann offen bleiben, ob die Pflicht zur Steuerzahlung zu einem Eingriff in die Gewissensfreiheit führen kann (verneinend Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. August 1992 – 2 BvR 478/92 –, NJW 1993, S. 455 ≪455 f.≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juni 2003 – 2 BvR 1775/02 –, NJW 2003, S. 2600; Preuß, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Stand: 2001, zu Art. 4 GG Rn. 46; bejahend etwa Böckenförde VVDStRL 28 ≪1970≫, S. 120 – Diskussionsbeitrag –; P. Tiedemann, Das Recht der Steuerverweigerung aus Gewissensgründen, 1991, S. 56 ff.; Beaucamp/Maihold JA 1997, S. 213 ≪214≫).

Jedenfalls stehen die Budgetverantwortung des Parlaments (Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG) und das demokratische Prinzip (Art. 20 Abs. 2 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht unter dem Vorbehalt der Gewissensentscheidung des Einzelnen zu der Frage, wie mit Einnahmen aus (direkten und indirekten) Steuern zu verfahren sei. Aus Grundrechten folgt kein genereller Anspruch des Einzelnen auf Unterlassung einer behaupteten grundrechtswidrigen Verwendung öffentlicher Abgaben; soweit diese mit seinem Gewissen unvereinbar ist, kann er jedenfalls nicht verlangen, dass seine Überzeugung zum Maßstab der Gültigkeit genereller Rechtsnormen oder ihrer Anwendung gemacht wird (vgl. BVerfGE 67, 26 ≪37≫).

Dies gilt entsprechend, wenn die Finanzbehörde über einen Erlassantrag zu entscheiden hat. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Finanzbehörde im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 6. Dezember 1991 – III R 81/89 –, NJW 1992, S. 1407) im Billigkeitsverfahren eine Steuerherabsetzung wegen der Art der Steuerverwendung im Fall der Berufung auf die Freiheit des Gewissens ablehnt.

Von einer weiter gehenden Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Broß, Osterloh, Mellinghoff

 

Fundstellen

BFH/NV Beilage 2007, 447

HFR 2007, 900

NVwZ-RR 2007, 505

AuA 2007, 549

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