Beteiligte

…, Klägerin und Revisionsklägerin

AOK Baden-Württemberg, Stuttgart, Heilbronner Straße 184, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Streitig ist ein Anspruch nach § 33 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V) auf Versorgung mit einem Schreibtelefon als Hilfsmittel der Krankenversicherung (KV).

Die bei der beklagten AOK als Rentnerin krankenversicherte Klägerin ist seit ihrem 8. Lebensjahr taub; eine sprachliche Restartikulationsfähigkeit ist vorhanden. Sie ist ledig und wohnt allein in einer kleinen Wohnung eines Mietshauses in N bei H  . Ihre nächsten Angehörigen leben im Kreis L . Sie kann ihre Wohnung ohne fremde Hilfe verlassen und sich selbst versorgen. 23 Jahre lang war die Klägerin ehrenamtliche Mitarbeiterin im Vorstand des Vereins für badische Taubstumme e.V. in Heidelberg. Ihr wurde von diesem Verein nach Beendigung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit (1991) ein Schreibtelefon bis zur Beendigung dieses Rechtsstreits leihweise zur Verfügung gestellt. Die Klägerin hat ferner Kontakte zu Gehörlosengruppen in N an der W  .

Im März 1991 beantragte die Klägerin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der AOK Heidelberg, die Kosten für ein ärztlich verordnetes Schreibtelefon zu übernehmen, die sich - je nach Anbieter und Ausführungsart - damals zwischen 1.549,00 DM und 2.707,80 DM bewegten.

Der Antrag blieb erfolglos (Bescheid vom 10. Juni 1991; Widerspruchsbescheid vom 20. August 1991). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin "ein Schreibtelefon zu gewähren" (Urteil vom 27. November 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Juli 1994). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, es handele sich bei dem Schreibtelefon zwar um ein geeignetes, nicht aber um ein erforderliches Hilfsmittel iS des § 33 Abs 1 SGB V. Auch angesichts einer zunehmenden Ausstattung der Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland mit Telefonanschlüssen sei daran festzuhalten, daß ein Telefon in der Regel nur den besonderen privaten, beruflichen oder allgemein-gesellschaftlichen Bedürfnissen diene, nicht aber den elementaren Lebensbetätigungen seiner Benutzer. Besondere Umstände, die das Schreibtelefon für die Klägerin unverzichtbar machten, seien nicht erkennbar.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der Vorschrift des § 33 Abs 1 SGB V. Die Haushalte und Arbeitsstätten in den alten Bundesländern seien zu rund 94 % mit Telefonanschlüssen versorgt. Das Telefonieren zähle zu den Selbstverständlichkeiten des täglichen Lebens; die Kommunikation zwischen Personen an verschiedenen Aufenthaltsorten erfolge nicht mehr wie früher üblich schriftlich, sondern weit überwiegend telefonisch. Deshalb sei das Telefonieren mittlerweile zu den elementaren Grundbedürfnissen menschlicher Existenz zu zählen.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Juli 1994 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 27. November 1992 mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Beklagte der Klägerin ein Schreibtelefon in einer Standardausführung zu gewähren hat.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das LSG begründet.

Aufgrund der bisherigen Feststellungen des LSG kann nicht abschließend beurteilt werden, ob der Klägerin ein Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit einem Schreibtelefon zusteht.

1. Die Klägerin hat in den Vorinstanzen beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr ein Schreibtelefon zu gewähren und dies im Revisionsverfahren dahingehend konkretisiert, daß ein Schreibtelefon in einer Standardausführung begehrt wird. Dieser Antrag ist iS der Verurteilung zur Verschaffung einer Sachleistung zu verstehen. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt als Zulässigkeitsvoraussetzung das Erfordernis eines bestimmten Klageantrages (BSGE 60, 87, 90 = SozR 1200 § 53 Nr 6). Diesem Erfordernis genügt der gestellte Klageantrag, obgleich er offen läßt, welches Fabrikat begehrt wird und ob das Gerät übereignet oder nur leihweise zur Verfügung gestellt werden soll. Die Krankenkasse (KK) hat im angefochtenen Bescheid ihre Leistungspflicht wegen fehlender Erforderlichkeit des Hilfsmittels global für alle Schreibtelefone im Grundsatz verneint. Ungeklärt blieb, welche Geräteart (Standardausführung ausschließlich für die Nutzung als Feststation in der Wohnung oder mobile Ausführung mit der Möglichkeit zum Anschluß an jedes beliebige Telefon) und welches Fabrikat nach Leistung und Preis unter Berücksichtigung der Wünsche der Leistungsempfängerin als wirtschaftlich am ehesten in Betracht kommt und ob das Gerät leihweise überlassen oder übereignet werden soll. In Fällen, in denen nicht nur die Entscheidung über die Art der Gewährung (Leihe oder Übereignung), sondern auch die Spezifizierung der geschuldeten Leistung im Zusammenwirken der Behörde mit dem Leistungsempfänger erfolgt, ist eine Klage auf eine wie im Ablehnungsbescheid nur global umschriebene Leistung zulässig, aber auch eine entsprechende Feststellungsklage, jeweils verbunden mit der Anfechtungsklage (vgl BSG SozR 3-4100 § 58 Nr 6), jedenfalls wenn kein Anhaltspunkt dafür vorliegt, daß die Beteiligten im Falle einer Verurteilung der Behörde über die Auswahl streiten werden, wie dies hier der Fall ist (vgl auch Urteil des 3. Senats des Bundessozialgerichts [BSG] vom 23. August 1995 - 3 RK 7/95 - zum Anspruch auf ein elektronisches Lese-Sprechgerät - zur Veröffentlichung vorgesehen). Zudem hat die Klägerin die beanspruchte Geräteart im Revisionsverfahren näher spezifiziert. Mit Blick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 Satz 2 SGB V verlangt sie nur noch ein Schreibtelefon in einer Standardausführung. Ihr Antrag entspricht damit der Rechtsprechung des ersten Senats des BSG (Urteil vom 3. November 1993 - 1 RK 42/92 - SozR 3-2500 § 33 Nr 5), nach der mobile Schreibtelefone von der Leistungspflicht der Krankenkassen grundsätzlich nicht umfaßt werden.

2. Die Klägerin hat nach Auffassung des LSG keinen Anspruch auf ein Schreibtelefon als Hilfsmittel. Ob dieser Ansicht zuzustimmen ist, läßt sich nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht entscheiden.

Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V idF durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (2. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Ein Schreibtelefon ist, wie bereits mehrfach vom BSG entschieden (BSG SozR 2200 § 182b Nrn 26 und 30; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 5), als Hilfsmittel iS dieser Vorschrift anzusehen, da der allgemeine Hilfsmittelbegriff iS der 2. Alternative als Ausgleich der Behinderung auch den ersetzenden Ausgleich umfaßt. Schreibtelefone zählen auch nicht zu den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 5); denn sie werden nicht üblicherweise von einer großen Zahl von Personen regelmäßig benutzt, sondern in der Regel nur eingesetzt, wenn entweder ein oder beide Teilnehmer an der Fernkommunikation gehörlos oder ertaubt sind.

Ein Anspruchsausschluß nach § 34 Abs 4 SGB V idF durch das GRG, der durch Gesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) einziger Absatz der Vorschrift wurde, greift nicht ein. Nach dieser Vorschrift idF durch das GRG vom 20. Dezember 1988 kann der Bundesminister für Arbeit, nach der Fassung durch Gesetz vom 20. Dezember 1991 (BGBl I 2325) kann der Bundesminister für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Heil-und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die KK nicht übernimmt (Satz 1). In der aufgrund dieser Ermächtigung erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen KV (KVHilfsmittelV) vom 13. Dezember 1989 (BGBl I 2237), die idF durch die Verordnung vom 17. Januar 1995 (BGBl I 44) gilt, sind Schreibtelefone nicht erfaßt.

Ein Ausschluß der Schreibtelefone aus der Leistungspflicht der KKn ergibt sich auch nicht aus den Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis. Diese ermächtigen nicht dazu, den Anspruch des Versicherten einzuschränken, sondern nur dazu, eine für die Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe zu schaffen. Nach § 128 SGB V idF durch das GRG erstellen die Spitzenverbände der KKn gemeinsam ein Hilfsmittelverzeichnis (Satz 1), in dem die von der Leistungspflicht umfaßten Hilfsmittel aufzuführen sind (Satz 2). Nach § 128 Satz 2 SGB V idF durch das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB V (2. SGB V-ÄndG) vom 20. Dezember 1991 (BGBl I 2325) sind in dem Verzeichnis auch die für die von der Leistungspflicht umfaßten Hilfsmittel vorgesehenen Festbeträge oder vereinbarten Preise anzugeben. Das Hilfsmittelverzeichnis schließt Schreibtelefone nicht aus (Hilfsmittelverzeichnis vom 29. Januar 1993, BAnz Beilage 1993, Nr 50a 1-140 mit Ergänzungen, zuletzt BAnz Beilage 1995, Nr 150a 1-19 vom 11. Mai 1995; vgl auch Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln nach dem Recht der gesetzlichen KV vom 15. August 1990, ErsK 1990, 454).

Anhand der getroffenen Feststellungen nicht zu entscheiden ist die Frage nach der Erforderlichkeit des Hilfsmittels. Ein Krankenversicherungsträger ist nur dann leistungspflichtig, wenn das Hilfsmittel im krankenversicherungsrechtlichen Sinne notwendig ist. Die Rechtsprechung hat Hilfsmittel, die nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzen, sondern bei deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder auch nur privatem Gebiet, grundsätzlich nicht als Hilfsmittel der KV anerkannt und insoweit zwischen Hilfsmitteln der KV und solchen der Eingliederungshilfe unterschieden (BSG SozR 2200 § 187 Nr 1; BSG SozR 2200 § 182b Nr 5). Nur soweit der Einsatz des Hilfsmittels der alltäglichen Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse eines Menschen dient, fällt auch der Ausgleich der Folgen der Behinderung auf den genannten Gebieten in die Leistungspflicht der KV (BSG SozR 2200 § 182 Nr 10; BSG SozR 2200 § 182b Nr 30; ständige Rechtsprechung).

Die Frage, ob bei diesen Abgrenzungskriterien der Erforderlichkeit iS des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V das Schreibtelefon unter den hier maßgeblichen Bedingungen des Jahres 1994 (letzte mündliche Verhandlung in einer Tatsacheninstanz) generell für jede hörunfähige Person ein notwendiges Hilfsmittel ist (verneinend der 3. Senat des BSG in SozR 2200 § 182b Nr 26 zur Situation von 1982 und der 8. Senat in SozR 2200 § 182b Nr 30 zur Situation von 1983; offengelassen vom 1. Senat in SozR 3-2500 § 33 Nr 5 zur Situation von 1993), kann so nicht beantwortet werden. Maßgebend ist vielmehr der im Einzelfall zu erwartende Gebrauchsvorteil.

Es ist zwar davon auszugehen, daß generell Gehörlose und Ertaubte die Möglichkeit der telefonischen Kommunikation nur nutzen können, wenn sie und ihr Gesprächspartner mit diesem Hilfsmittel ausgerüstet sind, und daß der Versorgungsgrad der Haushalte (einschließlich der Arbeitsstätten) mit einem Telefonanschluß im Jahre 1994 in den alten Bundesländern bei 94 %, in Berlin (Durchschnitt aus West und Ost) bei 75 % und in den fünf neuen Bundesländern bei 50 % lag (vgl Auskunft der Telekom vom 6. Mai 1994). Gleichwohl kommt es für den Gebrauchsvorteil eines Schreibtelefons entscheidend darauf an, ob potentielle Gesprächspartner mit einem Schreibtelefon ausgestattet sind, da die Kommunikation mit einem Partner, der nur ein normales Telefon besitzt, nicht möglich ist.

Auch im Hinblick auf die Vorsorge für Not- und Eilfälle (zB bei Krankheit, Unfall oder Straftat) ergibt sich keine Rechtfertigung für die Versorgung aller Gehörlosen und Ertaubten mit einem Schreibtelefon auf Kosten der KV. Die Krankenkassen haben nach ihrem gesetzlichen Auftrag nicht für jeden denkbaren Notfall Vorsorge zu treffen. Zudem gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß bei der Klägerin ständig mit irgendwelchen Notfällen gerechnet werden müßte, wie es beispielsweise bei Anfallsleiden der Fall wäre.

3. Hiernach ist das Schreibtelefon für einen Gehörlosen oder Ertaubten als erforderliches Hilfsmittel iS des KV-Rechts anzusehen, wenn der Versicherte im Einzelfall wegen seiner Behinderung aufgrund besonderer Umstände auf das "Telefonieren" mit anderen Schreibtelefonbenutzern unumgänglich angewiesen ist (3. Senat des BSG SozR 2200 § 182b Nr 26; 8. Senat SozR 2200 § 182b Nr 30; 1. Senat SozR 3-2500 § 33 Nr 5) oder wenn ohne die Möglichkeit der Fernkommunikation zumindest die konkrete Gefahr der Vereinsamung besteht. Es entspricht allgemeiner Erfahrung, daß Gehörlose und Ertaubte in ungleich höherem Maße als insoweit nicht behinderte Personen der Gefahr menschlicher und gesellschaftlicher Isolierung und Vereinsamung unterliegen, weil ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Kommunikation mit anderen Menschen stark eingeschränkt sind. In der Regel ist ihr Kontakt auf den engen Familienbereich und auf Personen mit gleichartigem Schicksal begrenzt. Aufgrund der Verständigungsschwierigkeiten haben Nichtbehinderte vielfach Hemmungen, sich mit Gehörlosen und Ertaubten zu "unterhalten" oder gar Beziehungen aufzubauen, und sie versuchen dies dann oft auch gar nicht. Auf der anderen Seite haben Gehörlose und Ertaubte wegen ihrer verbalen Verständigungsprobleme Scheu, mit Nichtbehinderten in Kontakt zu treten bzw sie meinen, andere Menschen würden sie wegen ihrer Behinderung meiden, und so bleiben dann auch Kommunikationsversuche der Betroffenen mit Nichtbetroffenen von vornherein häufig aus. Die Begrenzung des Bekanntenkreises, die Beschränkung der Kommunikationsfähigkeit und -möglichkeit und der Verzicht auf Kontaktversuche auch in den Fällen, in denen sie vielleicht möglich wären, sind ursächlich auf die Behinderung zurückzuführen, und diese Umstände begründen gleichzeitig in ihrer Gesamtheit die Gefahr der Isolation und Vereinsamung, der potentiell viele Gehörlose und Ertaubte ausgesetzt sein können. Bei den Betroffenen können dadurch psychische und psychosomatische Erkrankungen ausgelöst werden. Die Gefahr der Vereinsamung nimmt um so mehr zu, je weniger Kontakte und Kommunikationsmöglichkeiten im Einzelfall vorhanden sind. Da der Umfang der Kontakte und Kommunikationsmöglichkeiten bei den Gehörlosen und Ertaubten je nach den konkreten Gegebenheiten aber sehr verschieden ist und die Gefahr der Vereinsamung bei weitem nicht in jedem Einzelfall bejaht werden kann, bestehen zumindest Bedenken, für alle Gehörlosen und Ertaubten oder auch nur für den weit überwiegenden Teil dieser Personengruppe ein elementares Grundbedürfnis auf Fernkommunikation zu befürworten und diesbezüglich auf eine Einzelfallprüfung zu verzichten. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, daß des Hörens und Sprechens fähige Menschen bei Fehlen telefonischer Verständigungsmöglichkeiten ihr Kommunikationsbedürfnis in aller Regel durch Ausweichen auf andere Kommunikationsformen und -partner kompensieren und befriedigen können, während dies bei Gehörlosen und Ertaubten erfahrungsgemäß in weit geringerem Maße der Fall ist und bei ihnen das allgemeine Grundbedürfnis nach Kommunikation vielfach mit dem Bedürfnis nach Fernkommunikation untrennbar verbunden ist. Zur Gefahr der Vereinsamung hat das LSG - aus seiner Sicht zu Recht - bisher keine hinreichenden Feststellungen getroffen.

Zwar kann die alleinstehende Klägerin ihre Wohnung ohne fremde Hilfe verlassen. Sie führt selbständig ihren Haushalt, kann reisen und ist in der Lage, ihre persönlichen Angelegenheiten selbst zu regeln. Sie hat als Kind noch sprechen gelernt und verfügt über eine Restartikulationsmöglichkeit durch Sprache. Sie kann somit auch ohne ein Schreibtelefon mit der Außenwelt in Kontakt treten. Dies besagt aber noch nicht, daß die Klägerin ohne das Schreibtelefon, das ihr vom Verein für badische Taubstumme bis zum Abschluß dieses Rechtsstreits leihweise zur Verfügung gestellt worden ist, nicht der Gefahr der Vereinsamung unterliegen würde. Die Klägerin ist ledig und lebt allein in ihrer Wohnung. Nach ihrem erst- und zweitinstanzlichen Vortrag besitzt sie zwar eine Restartikulationsfähigkeit in der deutschen Sprache, ihre Worte sind aber sehr schwer zu verstehen. Sie hat wegen ihrer Verständigungsschwierigkeiten kaum Kontakte zu den Mitbewohnern des Hauses oder zu Leuten aus der Nachbarschaft. Ihre Verwandten leben im Kreis Lörrach. Alle Personen, mit denen ein ständiger Kontakt besteht, wohnen zwischen 5 und 300 Kilometern entfernt. Die wesentlichen Kontakte hat sie zu Mitgliedern des Vereins für badische Taubstumme in Heidelberg, der katholischen Gehörlosen-Frauengemeinschaft in Neustadt an der Weinstraße und zur dortigen Spätertaubten-Gemeinschaft. Sollten diese Angaben der Klägerin zutreffen, was das LSG zu klären haben wird, kann die Annahme gerechtfertigt sein, die Klägerin sei zur Vermeidung ihrer Vereinsamung und damit im Sinne eines vorbeugenden Gesundheitsschutzes auf die Fernkommunikation unumgänglich angewiesen.

Mit der Bejahung der Leistungspflicht bei drohender Vereinsamung befindet sich der Senat zudem in Übereinstimmung mit den entsprechenden Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Zur Aufrechterhaltung ihrer sozialen Kontakte können Behinderte im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 40 Abs 1 Nr 2 BSHG iVm § 9 Abs 1 und 3 der Eingliederungshilfe-Verordnung im Einzelfall Anspruch auf die Gewährung eines Schreibtelefons haben (vgl Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] Beschluß vom 6. August 1992 - 5 B 126/91 - SGb 1993, 473; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 10. Dezember 1991 - 9 UE 1183/87 - mwN). Pflegebedürftige Menschen können im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach § 68 Abs 5 BSHG ebenfalls einen solchen Anspruch haben. Nach dieser zum 1. April 1995 durch Art 18 Nr 3 des Pflege-Versicherungsgesetzes vom 26. Mai 1994 (BGBl I S 1014) in das BSHG eingefügten Vorschrift sollen dem Pflegebedürftigen "auch die Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Erleichterung seiner Beschwerden wirksam beitragen. Um der Gefahr einer Vereinsamung des Pflegebedürftigen entgegenzuwirken, sollen bei der Leistungserbringung auch die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen nach Kommunikation berücksichtigt werden".

4. Sollte die Gefahr der Vereinsamung bestehen, wird das LSG ferner zu ermitteln haben, ob der zu erwartende Gebrauchsvorteil dem Gebot der Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit (§ 12 Abs 1 SGB V) entspricht.

Da die Benutzung eines Schreibtelefons nur möglich ist, wenn der Gesprächspartner ebenfalls über ein Schreibtelefon verfügt, wird das LSG festzustellen haben, ob im Kreis der Angehörigen, Freunde und Bekannten, mit denen die Klägerin regelmäßigen Kontakt pflegt bzw pflegen möchte, in hinreichender Anzahl Schreibtelefone vorhanden sind und welcher Gebrauchsumfang zu erwarten ist. Da die Klägerin seit langer Zeit über ein ihr leihweise überlassenes Schreibtelefon verfügt, kommt beispielsweise die Vorlage von Gebührenabrechnungen in Betracht. Sie lassen Rückschlüsse über den tatsächlichen Gebrauch des Schreibtelefons bezüglich ausgehender Gespräche zu. Mangels sonstiger Anhaltspunkte wird man einen gleich hohen Gebrauchsanteil bezüglich eingehender Telefonate annehmen dürfen. Die Versorgung mit einem Schreibtelefon wäre unzweckmäßig, wenn es in dem Kreis der Kontaktpersonen der Klägerin kaum Schreibtelefone gäbe oder wenn die Zahl von Telefaxgeräten deutlich überwiegen würde. Sollten Schreibtelefone und Telefaxgeräte in ungefähr gleicher Anzahl vorhanden sein, stünde der Klägerin in Anbetracht der jedenfalls bis zum Jahre 1994 relativ geringen Unterschiede bei den Anschaffungspreisen für Schreibtelefone (in Standardausführung) und Telefaxgeräte grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen beiden Geräten zu.Da die Klägerin sich durch ihren dahingehenden Leistungsantrag vom März 1991 für die Benutzung eines Schreibtelefons bereits entschieden und damit ein etwaiges Wahlrecht ausgeübt hat, könnte sie von der Beklagten entsprechend § 263 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht mehr auf ein Telefaxgerät verwiesen werden. Daher kann hier die Frage offen bleiben, ob man Telefaxgeräte aufgrund ihrer Verbreitung in der Bundesrepublik Deutschland - anders als im Jahre 1991 - mittlerweile zu den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens zählen muß (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGB V), wodurch die Leistungspflicht der KK entfallen würde und ein Wahlrecht des Berechtigten zwischen einem Schreibtelefon und einem Telefaxgerät ausgeschlossen wäre.

Auf die im Vergleich zu Telefaxgeräten verhältnismäßig geringe Verbreitung von Schreibtelefonen kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an. Im Hinblick auf die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Kommunikation kann allein die fernkommunikative Ausstattung der potentiellen Gesprächspartner der Klägerin maßgeblich sein, nicht aber die Ausstattung sämtlicher Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland mit Telefonen, Schreibtelefonen oder Telefaxgeräten.

Da es bei Schreibtelefonen verschiedene Ausstattungsarten gibt und die Klägerin ihren Antrag auf die preiswerteste Ausstattungsform (Standardausführung)beschränkt hat, ist dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit des Hilfsmittels insoweit Genüge getan.

5. Das Schreibtelefon ersetzt bei Gehörlosen und Ertaubten ein Standardtelefon; dieses ist ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens iS des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Insoweit können sich Schwierigkeiten ergeben, wenn das Schreibtelefon kein Zusatz zum Telefon ist, das weiterhin zB von anderen Familienmitgliedern normal genutzt werden kann, sondern ein eigenständiges Gerät. In derartigen Fällen sind die von jedem Benutzer grundsätzlich selbst zu tragenden Anschaffungs- und Betriebskosten für ein Standardtelefon zumindest dann als Eigenanteil vom Versicherten zu tragen, wenn der durch das Hilfsmittel zu ersetzende Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens im Haushalt tatsächlich nicht vorhanden ist (vgl BSGE 42, 229, 231 = SozR 2200 § 182b Nr 2; ständige Rechtsprechung). Das gilt bei Übereignung des Hilfsmittels wie bei dessen leihweiser Überlassung (Nutzungsentgelt) gleichermaßen (BSG, Urteil vom 23. August 1995 - 3 RK 7/95 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Da die Klägerin allein in ihrem Haushalt lebt und sie - anders als etwa bei Anwesenheit nicht hörgeschädigter Familienmitglieder - für ein Standardtelefon keine Verwendung haben dürfte, liegt die Vermutung nahe, daß in ihrem Haushalt kein Standardtelefon vorhanden ist. Auch zu diesen Fragen bedarf es weiterer Ermittlungen durch das LSG.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

SozSi 1997, 117

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